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Ein Büffel kämpft bis zum Schluss

Ein Büffel kämpft bis zum Schluss

«Man kann sich das Leben nicht auswählen», sagt Karatemeister Bruno Koller. Film «Tiger und Büffel» / © Biasio Produktion

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12. Oktober 2021
In seinem neuen Film spürt Fabian Biasio der Lebensgeschichte von Bruno Koller nach, einem der erfolgreichsten Karatemeister ausserhalb Japans. Er begleitet Koller in den letzten acht Lebensjahren und zeigt, wie der kampferprobte Mann sich plötzlich einem unsichtbaren – und unbesiegbaren – Gegner stellen muss: der Demenz.
«Ich darf nöd in Berg ofe. Z gförlech. Ich darf nöd in Wald abe. Z gförlech. Ich gang extra in Wald ond luegä, öb ich wider dä Useweg fend.» Als Bruno Koller diese Sätze spricht, ist seine Krankheit bereits bekannt. Sein Augenlicht nimmt ab, die Demenz schreitet voran. Seine zweite Frau, die Thailänderin Daeng, hat ihn verlassen, weil sie als pflegende Angehörige überfordert ist mit ihm, dem massigen Mann, der seinen Kampfeswillen noch lange nicht abgelegt hat und mit seinem Gebrüll auch schon mal Pfleger erschreckt.

Der Satellit im Zentrum
Doch Koller kann sich auf seine Familie, seine Exfrau und seine drei erwachsenen Kinder verlassen. Immer wieder suchen sie nach neuen Lösungen, wenn das er ihm aktuellen Heim nicht mehr bleiben kann, wägen ab, wann seine Laune gut genug ist, dass es auch schwierigere Neuigkeiten verträgt. Ob dies damit zusammenhängt, dass der gebürtige Appenzeller seine Angehörigen schon immer wie Satelliten um sich, den Planeten, kreisen liess? Seine Ideen ohne Rücksicht auf die um ihn herum verwirklichte? Und insbesondere gegenüber dem Sohn mehr Karatelehrer als Vater war?

Er ist der Büffel, immer am Kämpfen. Und praktisch nicht zu besiegen. Selbst die Krankheit nimmt er als Herausforderung an und will ihr kämpfend begegnen. «Mein Karate ist noch genau gleich gut, wie vorher, auch mit Demenz», sagt Koller mit dem ihm eigenen Widerspruchsgeist. «Wir suchen ja die Schwierigkeiten.» Doch mit der zunehmenden Hilflosigkeit nehmen auch Wut und Schmerz überhand. Nur noch mit Mühe gelingt es ihm, den schwarzen Gurt zu binden.

Der sture «Siech« wird milde
Filmemacher Fabian Biasio war selbst Schüler bei «Bruno Sensei», lange bevor der international bekannte Karatemeister an Alzheimer-Demenz erkrankte. Mit dem Einverständnis Kollers begleitete Biasio ihn und die Familie während der Zeit zwischen Diagnose und Tod mit der Kamera. Es gelingt Biasio, das Fortschreiten der Erkrankung nicht als Verfall, sondern als Wandel aufzuzeigen. Der «sture und härte Siech», wie sich Koller selbst bezeichnete, wird milder, wirkt manchmal fast verloren, wie er im Karateanzug im Dojo seiner Tochter steht. Biasios Kamera ist immer nah dran, zeigt schonungslos die Brüche, die Verzweiflung, die lichten Momente. Nie aber wird der Protagonist würdelos gezeigt.

Dem Luzerner Filmemacher, der 2018 mit «Sub Jayega» einen Dok-Film zu Palliative Care gedreht hat, ist mit «Tiger und Büffel» ein intimes Porträt gelungen, das der Zuschauerin mit feinen Einstellungen zeigt, was mit Bruno Koller geschieht. Etwa dann, wenn er auf seiner letzten Taiwan-Reise, schwer von der Krankheit gezeichnet, in der grossen Karatehalle sitzt und kaum noch sieht, was vor sich geht. Lohnenswert ist übrigens auch die Filmmusik von Zehnder & Töne mit dem Christian Zehnder Quartett, das eine mystisch-alpine Klangatmosphäre schafft. Grossartig, und eine klare Sehempfehlung.

Der Film ist derzeit in verschiedenen Kinos in der Schweiz zu sehen.
palliative zh+sh, Gabriela Meissner