Das Bedürfnis nach Palliative Care ist grundsätzlich unabhängig vom Alter der Patientinnen und Patienten und betrifft unterschiedliche Diagnosen. Doch aufgrund der steigenden Lebenserwartung und der Wahrscheinlichkeit, als älterer Mensch an unterschiedlichen Krankheiten gleichzeitig zu leiden, werden ältere und hochbetagte pflegebedürftige Menschen zunehmend zur Hauptzielgruppe von Palliative Care. 90 Prozent der über 80-jährigen Schweizerinnen und Schweizer leben zu Hause. Von diesen wiederum beanspruchten 40 Prozent Spitex-Leistungen. Entsprechend kommt Mitarbeitenden von Spitex-Organisationen eine wichtige Funktion zu, wenn es um einen bedürfnisgerechten Zugang zu Palliative Care geht. Auf diesen Erkenntnissen basiert eine Forschungsarbeit von Flurina Näf, Mitarbeitende beim Bundesamt für Gesundheit, in der die Verbreitung der allgemeinen Palliative Care bei der Nonprofit-Spitex in der Schweiz untersucht wurde.
Bereits vor 15 Jahren wies die WHO in ihrem Bericht «Palliative Care For Older People» darauf hin, dass Palliative Care für ältere Menschen von zentraler Bedeutung ist und deshalb als Public-Health-Priorität zu betrachten sei. In der Schweiz steht die Förderung von Palliative Care mit der Lancierung einer Nationalen Strategie im Jahr 2010 auf der Agenda der nationalen Politik. Mehr noch: Im Sommer letzten Jahres überwies der Ständerat das Postulat «Bessere Betreuung und Behandlung von Menschen am Lebensende» an seine Sozial- und Gesundheitskommission. Am mittlerweile fertig gestellten Bericht schrieben auch Akteure von palliative ch mit.
Wenn die Pflege über eine längere Zeit erfolgt, können Pflegefachpersonen eine palliative Situation erkennen und einen bedürfnisgerechten Zugang zu Palliative Care ermöglichen.
Näfs Forschungsarbeit beschreibt erstmals die Verbreitung von Palliative Care bei den gemeinnützigen öffentlich-rechtlichen Spitex-Organisationen. Über 80 Prozent aller Spitex-Klientinnen und -Klienten in der Schweiz wurden von diesen Nonprofit-Spitex-Organisationen zu Hause gepflegt. Insgesamt beschäftigt die Nonprofit-Spitex rund 38‘000 Mitarbeitende, die gemäss Bundesamt für Statistik 2017 284’00 Klientinnen und Klienten unterstützen. Von diesen wiederum sind 40 Prozent über 80 Jahre alt. Wenn Pflege und Betreuung aufwendiger und komplexer werden, sind Mitarbeitende der Nonprofit-Spitex entsprechend häufig involviert. Gerade dann, wenn die Pflege über eine längere Zeit erfolgt, können Pflegefachpersonen eine palliative Situation erkennen und einen bedürfnisgerechten Zugang zu Palliative Care ermöglichen, heisst es in der Arbeit. Entsprechend wichtig ist es, dass die Mitarbeitenden über die Grundkompetenzen für die allgemeine Palliative Care, kommunikative Fähigkeiten und die Erkenntnis der Wichtigkeit von gelebter interprofessioneller Zusammenarbeit verfügen. Doch wie sieht das in der Realität aus?
Von den schweizweit 400 angeschriebenen Spitex-Organisationen, nahmen 317 an der online durchgeführten Umfrage teil. In 54 Prozent der befragten Organisationen haben Palliative Care in ihrem Leitbild verankert. Auffällig dabei ist, dass in der lateinischen Schweiz lediglich eine Organisation die Frage mit Nein beantwortete. Ebenfalls zentral war die Frage nach einem Palliative-Care-Konzept, über das 59 Prozent verfügen. Auch hier schwingt der Kanton Tessin oben auf: Alle sechs befragten Organisationen gaben an, über ein solches Konzept zu verfügen. Die Autorin vermutet hier einen Zusammenhang mit dem Vorhandensein von kantonalen oder kommunalen Vorgaben betreffend Palliative Care.
In der Deutschschweiz werden spezialisierte Palliativdienste weniger oft hinzugezogen, als in Tessin und Romandie.
In der Romandie sind Konzepte ebenfalls etwas stärker verbreitet als in der Deutschschweiz. Interessanterweise hat die Grösse einer Organisation keinen Einfluss darauf, ob ein Konzept vorhanden ist oder nicht. In der Regel umfasst ein solches Konzept eine Definition sowie Grundhaltungen zu Palliative Care, häufig werden auch die Leistungen benannt und die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen festgelegt. Ein weiterer häufig genannter Punkt ist die Unterstützung und Entlastung Angehöriger. Weniger oft werden in den Konzepten Empfehlungen zum Beizug von spezialisierten Palliativdiensten hinterlegt. Allerdings zeigt sich auch hier wieder ein deutlicher Unterschied zwischen Deutschschweiz und den lateinischen Landesteilen. In Letzteren haben praktisch alle diesen Einbezug festgelegt. Das gilt auch für die Palliativ-Kompetenzen der Fachpersonen als integralem Konzeptbestandteil. Am wenigsten wird das Thema der Netzwerkarbeit in den Konzepten beschrieben. «Dies, obwohl der Aufbau einen stabilen Netzwerks besonders in Notfallsituationen sehr wichtig ist und eines der Kernaufgaben der allgemeinen Palliative Care darstellt», hält die Autorin der Forschungsarbeit fest.
Die Studienautorin zweifelt anhand der erhobenen Zahlen auch daran, ob tatsächlich alle Personen in palliativen Situationen erkannt werden. Die Organisationen schätzten den Anteil der Klientinnen und Klienten in palliativen Situationen auf ein bis 20 Prozent. Unter Berücksichtigung, dass 40 Prozent der Spitex-Klienten über 80-jährig sind, an mehreren Krankheiten gleichzeitig leiden und gebrechlich sind, zieht die Autorin den Schluss, dass die Bedürfnisse nach Palliative Care bei mehr als 20 Prozent der Klientel angezeigt sind. Diesem Thema müsste laut Autorin Näf mehr Beachtung geschenkt werden, denn auch die Europäische Gesellschaft für Palliative Care EAPC sieht ein Haupthindernis für Palliative Care darin, dass Personen in palliativen Situationen oftmals nicht erkannt werden.
Schulung und Weiterbildung haben bei den Nonprofit-Spitexorganisationen einen hohen Stellenwert.
Erfreulich die Ergebnisse bei der Frage nach Schulung oder Weiterbildung im Bereich Palliative Care. Von den 315 befragten Organisationen haben über 90 Prozent die Frage, ob ihre Mitarbeitenden in Palliative Care geschult respektive sensibilisiert wurden, mit Ja beantwortet. In knapp 70 Prozent der Organisationen hat mindestens eine Mitarbeitende einen Basiskurs, in jeder zweiten einen Vertiefungskurs besucht. Der Schulung oder Weiterbildung wird demnach ein hoher Stellenwert beigemessen. Ein weiterer Diskussionspunkt sieht Näf bei der Bildung von Palliative-Care-Betreuungsnetzwerken und dem Beizug von spezialisierten Diensten, denn gerade letzteres trage dazu bei, dass Betroffene häufiger in der gewohnten häuslichen Umgebung bleiben könnten.
Die Forschungsarbeit von Flurina Näf ist eine quantitative Erhebung und bietet eine gute Orientierung, wie die allgemeine Palliative Care bei der Spitex-Arbeit derzeit verankert ist. Viele Ergebnisse sind erfreulich, manche zeigen aber auch auf, wo noch viel Arbeit geleistet werden muss.