Wie ein Kinderhospiz Familien in ihrem Alltag entlasten kann, zeigt ein Film von SRF «Reporter» unter dem Titel «Eine Auszeit vom Sterben». Stella und Xenia sind zwei von rund 10‘000 Kindern in der Schweiz mit einer lebensverkürzenden Krankheit und sie gehören zu den ersten Gästen im neu eröffneten Kinderhospiz Allani in Bern. «Stella spricht nicht gerne über den Tod, sie will leben und das Leben geniessen», erzählt Sarah Weishaupt über ihre zehnjährige Tochter. Für ihre Eltern indes ist Stellas nahender Tod eine unumstössliche Realität: Rund um die Uhr muss Stella betreut werden. Das Mädchen hat die Erbkrankheit «spinale Muskelatrophie Typ 1b». Kognitiv ist sie nicht eingeschränkt, aber ihre Muskeln werden immer schwächer. Auch diejenigen, die Stella zum Sprechen und zum Atmen braucht. Im Alltag zuhause in Lugano wird Familie Weishaupt von einem Netzwerk aus Pflegefachkräften, Ergotherapeutinnen und Physiotherapeutinnen unterstützt. Doch nachts bleibt Mutter Sarah Weishaupt auf sich allein gestellt. Es lässt sich kein Pflegepersonal finden. Stellas Pflege erfordert viel Spezialwissen und Aufwand, und deshalb steht Stellas Mami auch beim ersten Besuch im Hospiz noch oft selbst im Einsatz. Doch bereits nach den ersten Tagen kann sie endlich wieder einmal eine Nacht durchschlafen – ein kleiner Schritt zu mehr Energie und Lebensqualität.
Auch für die Eltern der 9-jährigen Xenia steht das Wohl ihrer Tochter im Zentrum: «Wir sind glücklich, wenn Xenia glücklich ist.» Doch auch sie sind erschöpft. Im Kinderhospiz Allani wird Xenia gut versorgt und die Eltern können derweil in den Ferien Kraft für die weitere Betreuung ihrer todkranken Tochter schöpfen. «Diese Auszeit ist für uns wichtig», sagt Vater Urs Rindisbacher. «Wir müssen uns auch mal ausklinken und eine Woche als Paar etwas unternehmen.» Xenia hat einen schweren Gendefekt. Wie lange sie leben wird, weiss niemand. SRF Reporter hat Xenia und Stella während ihrer Aufenthalte bei Allani begleitet und gibt auf eindrückliche Weise Einblicke in den Alltag der beiden Familien.
«Eine Auszeit vom Sterben». SRF. 18.12.2024
«Die Bedeutung der Seelsorge nimmt zu»
«Im Angesicht der Endlichkeit haben die Menschen das Bedürfnis nach Spiritualität. Existenzielle Fragen treiben sie um», sagt der reformierte Seelsorger Markus Naegeli. Er arbeitet für das Palliative-Care Team des Spitals Wetzikon im Zürcher Oberland und teilt sich die Seelsorge-Stelle mit zwei katholischen Kolleginnen. Die Mehrheit des Teams machen Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegende aus. Sie ermöglichen es todkranken Menschen nach einem Spitalaufenthalt, wieder nach Hause oder in ein Pflegeheim zurückzukehren. Das Palliative-Care-Team betreut sie dort bis zu ihrem Tod. Der Mediziner Andreas Weber hat das Angebot aufgebaut. Im Gespräch mit der Zeitung «ref.ch» sagt er, die Behandlungskosten seien durch den ambulanten Ansatz des Palliative-Care-Teams viel tiefer als sie es im Spital wären – wo auch noch Aufenthalt und Verpflegung in Rechnung gestellt würden. Zudem gehe es den Menschen besser, sie fühlten sich in ihrem gewohnten Umfeld wohler. Dazu trägt auch die Seelsorge bei. «Viele Patientinnen, Patienten und Angehörige sagen uns, die Besuche der Seelsorger täten ihnen schampar gut.» Vertreter anderer Kantone und des Bundesamts für Gesundheit haben sich das Palliative-Care-Projekt zeigen lassen.
«Die Bedeutung der Seelsorge nimmt aus unserer Sicht zu», sagt Arzt Andreas Weber. Viele der Kranken, die das Palliative-Care-Team betreut, sind zwischen 50 und 70 Jahre alt. «Im Angesicht der Endlichkeit haben die Menschen das Bedürfnis nach Spiritualität. Existenzielle Fragen treiben sie um», sagt Seelsorger Naegeli. Viele Patientinnen fragen ihn, weshalb es ausgerechnet sie treffe. Andere Patienten sorgen sich, was aus ihrer Familie werde, wenn sie nicht mehr sind. «Sie wollen wissen, wie ihr Sterben sein wird», sagt Naegeli. Der Theologe verweist sie an die Ärzte: «Sie haben in diesen Dingen mehr Erfahrung.» Er fragt gerne, ob alles gesagt und erledigt sei, oder ob noch etwas anstehe. «Häufig können die Menschen nicht loslassen, weil sie innerlich dazu noch nicht bereit sind», sagt Naegeli. Und wenn er gefragt wird, was nach dem Tod komme, antwortet er jeweils, ihm genüge das Vertrauen, «in Gottes geheimnisvolle Geborgenheit einzugehen».
«Jeder Besuch könnte der letzte sein». ref.ch. 13.12.2024
***
Anfang Dezember ist jeweils der Weltgedenktag für verstorbene Kinder. Aus diesem Anlass führte der «Tages-Anzeiger» ein Gespräch mit einem Vater und einer Bestatterin. Der Vater erzählt, wie es ihm half, die Bestattungszeit für seine Tochter selbst zu gestalten. Vor fünf Jahren kam in der Region Bern seine Tochter zur Welt. Mit acht Monaten wurde Launora krank. Leukämie. Eine Art, die relativ gut therapierbar sei, sagten die Ärzte. Doch bei ihr schlug die Therapie nicht an. Launora wurde keine drei Jahre alt. Dank der Kinderspitex und vielen weiteren Beteiligten konnten die Eltern ihr Kind zu Hause palliativ pflegen. Gestorben ist Launora im Bett neben ihren Eltern. Und dort blieb sie gemäss dem Wunsch der Eltern noch zwei Tage und Nächte. «Wir schliefen neben ihr.» Erst als sie nicht mehr roch wie sein Kind, sei er bereit gewesen, ihre leibliche Hülle in den Sarg zu betten.
Mathias Oberli suchte schon früh Rat bei Eva-Maria Finkam in Attiswil. Sie hat sich auf die Bestattung von Kindern spezialisiert. «Wir alle wünschen uns, zaubern zu können, damit keine Kinder und Jugendliche sterben müssen», sagt Eva-Maria Finkam. Für 500 Familien in der Schweiz sei diese unvorstellbare Ausnahmesituation jedoch jedes Jahr Realität. Ihre persönliche Aufgabe sieht die Kinder-Bestatterin darin, den Familien Instrumente in die Hand zu geben, damit sie auf ihre Weise von einem verstorbenen Kind Abschied nehmen können. Ohne Zeitdruck. Dafür hat sie einen Abschiedsraum eingerichtet, der von den Familien nach persönlichen Bedürfnissen geschmückt werden kann. Ein Kühlgerät macht es möglich, dass das aufgebahrte Kind bis zu drei Tage dortbleiben kann. Und wenn es dann im Sarg die allerletzte Fahrt antritt, steht dafür ein extra familienfreundlich eingerichteter Bestattungswagen bereit. «Ich erlebe immer wieder, wie viel in diesen letzten Tagen noch möglich ist», sagt Eva-Maria Finkam. Sie denkt an Eltern, die beim ersten Gespräch sagten: «Wir sind komplett überfordert.» Und am Ende, nachdem sie noch viel mit und für ihr Kind machen konnten: «Wir sind dankbar, dass wir das alles für unser Kind tun konnten. Jetzt sind wir mit der Situation versöhnt.»
«Wenn ein Kind stirbt». Tages-Anzeiger. 8.12.2024
«Wie eine Hochzeitsplanerin, einfach für Gedenkfeiern»
Vom Catering über die passende Urne bis zur Podcast-Empfehlung: Die Winterthurerin Julia Zink plant Trauerfeiern bis ins kleinste Detail. Sie ist eine der ersten Beerdigungsplanerinnen der Schweiz. «Wie eine Hochzeitsplanerin, einfach für Gedenkfeiern.» So beschreibt Julia Zink ihren Beruf. Wer eine Trauerfeier planen möchte, geht zu ihr. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um die eines Angehörigen oder der eigenen handelt. Sie übernimmt die Organisation bis ins kleinste Detail – vom Essen und der Trauerrede bis hin zu Blumen und dem Verschüttungsort der Asche. Seit drei Jahren ist Zink Funeral Plannerin. Auf den ersten Blick wirkt die 46-jährige Winterthurerin nicht wie jemand, der sich freiwillig intensiv mit dem Tod beschäftigt. Sie macht beim Treffen in Winterthur einen fröhlichen, lebhaften Eindruck, gestikuliert beim Sprechen viel. Doch Zink sagt, Gedenkfeiern zu planen, erfülle ihr Leben mit Sinn. Als Kind wollte sie mal Hebamme werden. «Aber das hat durchaus Parallelen zum Funeral Planning. Auch hier geht es ums Leben. Ich fokussiere einfach auf den Lebensrückblick und nicht auf den Lebensbeginn», sagt sie. Zinks Angebot stösst auf Interesse. Diverse Anfragen haben sie bereits aus Winterthur und der Ostschweiz erreicht. Besonders Menschen im Hospiz oder solche, die mit Exit den Freitod wählen, gehören zu ihren Kunden. Für sie ist es ein grosses Anliegen, Angehörige zu entlasten. «Man soll sich an der Feier zurücklehnen und sich dem Abschiednehmen widmen können. Ich übernehme alles andere.» Je involvierter die beizusetzende Person, desto authentischer die Feier, sagt Zink. Immer wieder erlebe sie, wie «unglaublich tröstend» das von den Hinterbliebenen empfunden werde. So könne die Gedenkfeier beispielsweise auf einem Fussballfeld des Lieblingsclubs oder, für begeisterte Töffli-Fans, in einer Motorradgarage stattfinden.
«Sie organisiert Gedenkfeiern, wie andere Hochzeiten planen.» Tages-Anzeiger. 19.12.2024
***
Die Festtage und der Jahreswechsel sind Momente, in denen viele Menschen innehalten, an das Jahr zurückdenken und sich Ziele für das kommende Jahr, für den Neuanfang, stecken. Wie gehen aber Menschen, die am Lebensende sind, mit dieser Zeit des Innehaltens und des Zurückblickens um? Wie feiert man im Wissen, dass es vermutlich die letzte Weihnacht sein wird? Diesen Fragen geht die Journalistin des «Walliser Bote» nach und besucht das Hospiz in Ried-Brig, welches im April 2024 eröffnet hat. Die Patientinnen und Patienten im HOPE gingen unterschiedlich mit den Festtagen und dem Jahreswechsel um, erzählt Caroline Walker Miano, Geschäftsleiterin des Hospiz Oberwallis. Häufig kommen von den Angehörigen Fragen, wie man Weihnachten gestalte, was geplant sei. Viele möchten mit ihren Angehörigen, die im Hospiz leben, an Weihnachten gemeinsam essen. Im Hospiz oder zu Hause. Die Patienten hingegen lassen die Zeit eher auf sich zukommen oder lassen sich leiten. Möglich sei alles. Essen im Hospiz oder Essen bei der Familie zu Hause. Für letzteren Fall instruiere die Pflege die Angehörigen entsprechend und bleibt immer erreichbar. Manche Bewohner des Hospizes habe sie vor Weihnachten fleissig Geschenke einpacken sehen. Andere scheinen sich mit der Weihnachtszeit nicht besonders auseinanderzusetzen. In den Patientenzimmern hängen Weihnachtskugeln an den Fenstern. Manche wollen die Dekoration allerdings nicht im Zimmer haben. Dann entfernen die Mitarbeitenden sie.
Ein Hospiz ist für die grosse Mehrheit der Menschen, die dort beheimatet sind, der Ort, an dem ihr Leben zu Ende geht. Durchschnittlich geht man in der Schweiz von 90 Prozent der Patienten aus, die im Hospiz versterben, rund zehn Prozent verlassen es wieder, beispielsweise weil sich ihr Zustand gebessert hat und sie in ein Pflegeheim übertreten. Doch das Hospiz HOPE soll nicht nur ein Ort zum Sterben sein. Es solle ein Ort des Lebens sein, ein Ort, an dem bis zum Schluss gelebt werde, betont die Geschäftsführerin.
«Am Ende des Lebens kann alles – nichts muss». Walliser Bote. 27.12.2024
«Das Essenzielle des Lebens drängt ins Bewusstsein»
An Weihnachten besinnen sich die Menschen – im einzigen Aargauer Hospiz ist dies dagegen das ganze Jahr über der Fall, sagt Geschäftsleiter Dieter Hermann gegenüber der «Aargauer Zeitung». In dieser letzten Lebensphase drängt das Essenzielle des Lebens ins Bewusstsein. «Die Menschen haben hier einen Kokon um sich, mit Familie und Freunden. Wichtig ist noch der Abschied von der Tochter, der letzte Besuch eines Freundes. Alles andere rückt in den Hintergrund – auch Weihnachten.» Hermann überlegt einige Sekunden. Lässt seine Augen wandern. Dann sagt er: «Menschen besinnen sich an Weihnachten. Besinnung erleben wir hier tagtäglich – in diesem Sinn haben wir hier jeden Tag Weihnachten.» Dieter Hermann unterstreicht, wie wichtig die Sterbebegleitung sei. «Du gehst schlecht, ohne reinen Tisch zu machen. Dazu gehört auch das Negative. Wer aufräumt, ist vorfreudiger, geht einfacher», führt er aus. «Wir versuchen, immer auch die positiven Aspekte im Leben herauszuarbeiten. Damit die Leute sagen können: Das habe ich Gutes bewirkt.»
Weihnachtsgeschenke spielen im Hospiz nur ausnahmsweise eine Rolle. Anders ist das bei täglichen Geschenken im Sinn von kleinen Aufmerksamkeiten. Hermann erzählt von einer Patientin, die permanent schläfrig und dem Alkohol zugeneigt war, wie er sich ausdrückt. «Wir haben ihr einen Mikroeiswürfel mit Whiskeygeschmack unter die Zunge gelegt. Ihre Mundwinkel gingen nach oben, der Körper hat sich dann sichtlich entspannt.» Im Hospiz werden den sterbenden Menschen solche und ähnliche Wünsche erfüllt. «Eine Patientin hatte immer sehr viel Wert auf ihr Äusseres gelegt. Wir haben ihr wegen der akuten Schmerzen ganz vorsichtig zu dritt die Haare gewaschen, sie geföhnt und gestylt. Das hat sie sehr gerne gehabt.» Überhaupt lasse man im Hospiz «dem Leben seinen Lauf». Die Menschen müssen sich an keine fixen Essens-, Besuchs- oder Schlafenszeiten halten. Raucher dürfen ihrem Laster auf der Terrasse frönen, von der man auf das Grün des Bruggerbergs blickt. Im Sommer können sich auch mal drei Patientinnen im Bett auf die Terrasse schieben lassen. Sie schlafen auf Wunsch unter dem Sternenhimmel, immer jemanden als Nachtsitzwache bei sich.
«Alle haben hier den Tod vor Augen». Aargauer Zeitung. 24.12.2024