Was Annina Hess-Cabalzar, Präsidentin der Akademie Menschenmedizin, unter einer menschengerechten medizinischen Grundversorgung von der Wiege bis zur Bahre versteht, sagt sie im Interview mit der «Wochenzeitung». Und auch welche Erkenntnisse sie aus ihrer psychotherapeutischen Arbeit im Palliativbereich zieht. Die heute 73-Jährige war bis 2012 Mitglied der Spitalleitung in Affoltern am Albis. Als Leiterin der Psychotherapie war sie auf sämtlichen Abteilungen therapeutisch tätig. Das Konzept einer umfassenden, menschengerechten medizinischen Grundversorgung hat sie im Spital Affoltern realisieren können. Speziell am Konzept der Menschenmedizin ist, dass die Psychotherapie in allen Spitalbereichen integriert ist. «Doch die Zeit, die es für eine umfassende Behandlung und Begleitung des Menschen braucht, passt nicht ins Schema dieses Gesundheitssystems», kritisiert Annina Hess-Cabalzar. Seit 2012 verhindere das System der diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG) solche Behandlungen. «In der Palliativabteilung muss, wenn der Mensch nicht DRG-konform innert drei Wochen stirbt, nach 21 Tagen eine Kostengutsprache mit medizinischer Begründung für eine Verlängerung beantragt werden. Den Sterbeprozess so zu pauschalisieren, ist widersinnig.» Aufgrund des administrativen Mehraufwands würde auch für die Betreuung der Patientinnen und Patienten sowie ihrer Angehörigen viel Zeit verlorengehen. «Dabei wäre ja die Kernaufgabe, die Lebensqualität bis zum Schluss so gut wie möglich zu erhalten.»
«Was bewirken Fallpauschalen auf einer Palliativstation?». Die Wochenzeitung. 28.11.2024
«Hüben und drüben gibt es noch Lücken»
Bei der palliativen Sterbebegleitung gibt es im Kanton Solothurn zwei Welten – im Osten spitalzentriert stationär, im Westen spitexzentriert ambulant. In Olten war vor 20 Jahren das Spital stark am Thema interessiert und baute die Palliativstation auf. In der Region Solothurn sprangen Vereine in die Bresche, vor allem die Spitexorganisationen, um Sterbende und deren Angehörige zu unterstützen. 2009 entstanden hier zeitgleich die Vereine Hospizgruppe und palliative.so. Das Resultat: Hüben und drüben gibt es nach Überzeugung beider Vereine noch Lücken. Ein Beispiel aus dem Osten: Um Olten müssen Sterbende öfter verlegt werden als um Solothurn, aus den vertrauten vier Wänden heraus ins Spital. Das ist belastend für sie und ihre Angehörigen. Es gibt hier erst wenig ambulante Sterbebegleitung. Ein Beispiel aus dem Westen: Nur ein Bruchteil der Sterbenden kann von der spezialisierten stationären Betreuung, etwa im Sterbehospiz, profitieren.
Um der Gesellschaft zu erklären, was es braucht, damit das Lebensende wieder seinen festen Platz in der Gesellschaft bekommt, haben der Präsident der Hospizgruppe, Thomas Giuliani, und der Präsident von palliative.so, Arzt Manuel Jungi, sowie Pflegefachfrau Cornelia Mackuth-Wicki die Bevölkerung Anfang November zum Gespräch eingeladen. Letztere leitet die Koordinations- und Geschäftsstelle Palliative Care Kanton Solothurn. Für die nächsten 15 Jahre hegen die beiden Organisationen eine Vision – ein mobiles Einsatzteam im Kanton, das rund um die Uhr ausrückt, um direkt am Sterbebett zu koordinieren, was gebraucht wird: Sitzwache, Unterstützungsangebote von Familie und Nachbarn, die Spitex oder ein Rezept vom Arzt. «Die meisten Angehörigen holen sich die Hilfe erst, wenn es fünf vor zwölf ist, falls überhaupt», sagt Thomas Giuliani aus Erfahrung. «Dabei ist die Überforderung riesig und mancher Todesfall traumatisch, was den Umgang mit der Trauer erschwert.»
«Für das Sterben in Würde». Solothurner Zeitung. 1.11.2024
«Da geht es nicht um lebensverlängernde Massnahmen»
Über das Leben spricht es sich leichter als über das Sterben und den Tod. Trotzdem sollte man es tun, sagt Anita Fetz, ehemalige Basler SP-Politikerin und Vorstandsmitglied von Exit in der Sendung «Morgengast» von Radio SRF 1. Bei dem Tabu behafteten Thema steht für Anita Fetz ein «Must» an erster Stelle. Ihr Appell: «Macht eine Patientenverfügung!» Festzuhalten, was man will oder nicht will, sei auch gegenüber den Angehörigen verantwortungsvoll. «Liegt keine Patientenverfügung vor, müssen diese entscheiden, was zu tun ist.» Der Vater der SP-Politikerin hatte Krebs. «Er wusste genau, was er wollte, und hat sich für den palliativen Weg entschieden», sagt Fetz. Das tun in der Regel Menschen mit einer unheilbaren Krankheit und im Wissen, dass der Tod vor der Türe steht. «Da geht es nicht um lebensverlängernde Massnahmen.» Da gehe es um eine fürsorgliche Betreuung und eine möglichst schmerzfreie Zeit. Sie selbst sei vor 30 Jahren Exit beigetreten, als Sterbehilfe noch sehr umstritten gewesen sei. Warum hat sie sich damals für einen Exit-Betritt entschieden? Das sei aus einer «Worst Case»-Überlegung entstanden, sagt Anita Fetz. «Für den Fall, dass ich schwer erkranke, möchte ich diese Option haben.» Ob sie Sterbehilfe jemals in Anspruch nehmen werde, könne sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.
«Was zählt, wenn die Tage gezählt sind?». Radio SRF 1. 12.11.2024
«Einzig durch die Anwesenheit Sicherheit geben»
Die Begleit- und Sitzwachgruppe Willisau feierte vom 8. bis 10. November das 20-Jahr-Jubiläum. Zum Ziel genommen haben sich die Begleiterinnen und Begleiter, das Tabuthema Sterben und Tod aufzubrechen. Der «Willisauer Bote» berichtete denn auch über die Tätigkeit der Begleiterinnen. Die Begleiterin Elsbeth Stöckli-Aregger schätzt es beispielsweise, nach ihrer Pensionierung eine sinnvolle Aufgabe zu haben. Manchmal gehe es einzig darum, durch die Anwesenheit der kranken oder sterbenden Person Sicherheit zu geben. Sie berichtet von Menschen, die sehr viel erzählen und andern, denen es genügt, dass jemand da ist und die Hand hält. «Das sind Stunden grosser Nähe, die Erfahrung von Vertrauen in einer würdevollen Atmosphäre, die in mir grosse Dankbarkeit auslösen. Ich kehre immer zufrieden nach Hause zurück.» Wiederum ist für sie der Weg bis zum Abschluss des Auftrags entscheidend. Wenn sie beim Sterben dabei sein kann, ist es für sie ein grosses Geschenk.
Die Leiterin der Gruppe, Ursula Bachmann, zeigt im Artikel auf, wie sich die Lebensumstände in den 20 Jahren seit der Entstehung der Begleitgruppe verändert haben. Standen damals bei den Begleitungen vor allem sterbende Menschen im Zentrum, seien es heute mehr und mehr auch unruhige schwerkranke Menschen, welche die Angehörigen und das Personal fordern. Denn heute seien im Vergleich zu früher auch die Frauen vielfach ausserhause erwerbstätig. Die Pflege von Angehörigen könne sie dann an den Anschlag bringen. Ursula Bachmann organisiert, mit Unterstützung von drei Begleiterinnen, bei Anfragen die Einsätze in Willisau und in der Region. Diese dauern in der Regel von 21 bis 6 Uhr. Die Begleit- und Sitzwachgruppe Willisau ist kein Verein, sondern als Gruppe mit einfacher Administration organisiert.
«Begleitung auf dem letzten Lebensweg». Willisauer Bote. 2.11.2024
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Alle 5 Jahre prüft der Schweizerische Verein für Qualität in Palliative Care, ob die Versorgung den Kriterien des Labels entspricht. Am Spitalzentrum Oberwallis SZO ist das der Fall. Ein interprofessionelles Team bildet die Grundlage der Palliative Care im SZO. Es vereint Fachpersonen aus den Bereichen Pflege, Medizin, Psychotherapie, Seelsorge, Physiotherapie, Ernährungsberatung sowie den mobilen Palliativdienst. Viele Teammitglieder verfügen über spezialisierte Weiterbildungen, um die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten sowie ihrer Angehörigen zu erfüllen. Vor zehn Jahren wurde der Kompetenzpool Palliative Care des Spitalzentrums Oberwallis mit dem Qualitätslabel «qualitépalliative» ausgezeichnet. Jetzt wurde das Label erneuert. Wie die Walliser Online-Plattform «pomona» schreibt, bestätige diese Re-Zertifizierung die hohe Qualität der Palliative Care im Oberwallis.
«Gute Qualität der Palliative Care am Spitalzentrum Oberwallis». pomona.ch. 15.11.2024
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Wollen Sie selber damit beginnen, über Ihr Leben zu schreiben? Oder lassen Sie es andere für sich tun? Sagen Ihnen audio-visuelle Formen des Erzählens besser zu? In einer Übersicht zeigt das Magazin «Grosseltern» im November, welche Angebote Biografisches festzuhalten es gibt. Auch ein Palliative-Care-Projekt ist dabei, nämlich der «Hörschatz» von Franziska von Grüningen und Gabriela Meissner, der es schwer erkrankten Eltern ermöglicht, ihren jungen Kindern eine persönliche Audiobiografie zu hinterlassen. Die Mamis und Papis erzählen ihren Liebsten, was ihnen wichtig ist, was von ihnen bleiben soll. Der Verein vermittelt Audiobiografien an betroffene Familien und organisiert die Finanzierung durch Spenden und Fundraising. Für die Familien selbst ist der Hörschatz kostenlos. Aber auch gesunden Menschen kann es ein Anliegen sein, Kindern und Enkeln aus ihrem Leben zu erzählen. Projekte wie meet-my-life.net, edition-unik.ch oder mein-nachklang.ch bieten die Möglichkeit, einen Streifzug durch die eigenen Erinnerungen zu machen und diese selbst niederzuschreiben oder von einer Autorin festhalten zu lassen.
«Biografisches aller Art». Grosseltern. 29.11.2024
«Die meisten möchten umgeben von ihren Angehörigen sterben»
Miriam Hochuli arbeitet seit 5 Jahren beim Brückendienst der Spitex Stadt Luzern. Dort sterben zu dürfen, wo man gelebt hat und sich geborgen fühlt, ist für viele Menschen ein wichtiger Wunsch. Diesen ermöglicht der Brückendienst der Spitex Stadt Luzern, der sich auf Palliativ- und Onkologiepflege schwerstkranker Menschen spezialisiert hat. Miriam Hochuli arbeitet seit fast 20 Jahren im Spital, seit fünf Jahren beim Brückendienst. Sie begleitet als gelernte Pflegefachfrau Dutzende von Sterbenden am Bett. Im Interview mit dem Onlineportal «Zentralplus» spricht sie über die letzten Wünsche dieser Menschen: «Häufig ist die Krankheit bereits so weit fortgeschritten, dass sie den Takt vorgibt. Die meisten möchten in Ruhe und Frieden, ohne grosses Leid, sterben, umgeben von ihren Angehörigen. Am Sterbebett sollte zudem eine gute Stimmung herrschen.» Ihr persönlich es wichtig, Emotionen auf eine positive Basis zu bringen. Deswegen spreche sie mit Angehörigen über die Sterbenden, um positive Erinnerungen hervorzuholen. Gibt es letzte Worte, die Sterbende loswerden wollen? «Ich glaube, vieles wurde schon vorher gesagt, oder es verliert im Angesicht des Todes an Relevanz», sagt die erfahrene Pflegefachfrau. Schwerstkranke seien häufig sehr müde und geschwächt vor dem Tod. Die Gespräche, in denen etwas geklärt werden müsste, hätten entweder vorher stattgefunden oder sie finden gar nicht statt. «Was ich beobachte, ist, dass sich beim Tod ein grosser Frieden über die Sterbenden legt. Fragen, die sie womöglich bis dahin gequält haben, lassen sie angesichts des Todes los. Bedrückende Dinge werden verschwindend klein, wenn man sich der Endlichkeit bewusst wird.»
«Sie begleitet Schwerstkranke bis zum Tod». Zentralplus. 1.11.2024
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«In der Weihnachtszeit nimmt man einen gewissen Zauber im Spital wahr», sagt Susanne Imhof, die seit 2023 Spitalseelsorgerin im Kantonsspital Münsterlingen ist, gegenüber der «Thurgauer Zeitung». Früher war sie als Psychologin und Pflegefachfrau tätig. «Ich habe quasi mein ganzes Berufsleben in Kliniken verbracht», sagt sie mit einem Lachen. In der Adventszeit merke man, dass etwas in der Luft liege. «Und das unabhängig von der Religion der Menschen. Ich finde das schön.» Susanne Imhof spricht von drei Punkten, die die Festtage speziell machen: das Innehalten, das Sich-berühren-Lassen und das Schenken von Fürsorge. «Je dunkler es draussen wird, desto näher liegt die innere Einkehr. Das spüren Anhänger aller Glaubensrichtungen. In der säkularen Welt spricht man von Achtsamkeit, wir Christen sprechen von Mystik.» Die Dekorationen im Spital und die vielen Anlässe in der Weihnachtszeit würden diese Atmosphäre noch verstärken. «Tatsächlich tragen alle dazu bei, die über Weihnachten ins Spital kommen – auch Besuchende. Sie bringen die Stimmung mit.» Viele Patienten werden vor den Festtagen entlassen. Planbare Operationen werden verschoben. Doch unter anderem in der Palliativstation, im Notfall oder der Intensivstation läuft der Betrieb weiter. «Wer gerade eine schwere Diagnose bekommen hat, der braucht den Zauber der Weihnachtszeit besonders», meint Susanne Imhof. «Für einige Patientinnen und Patienten ist es nicht einfach, die Festtage hier zu verbringen. Gleichzeitig fällt für sie für einmal der Rummel weg. Vergangenes Jahr sagte eine Erkrankte zu mir, Weihnachten sei für sie noch nie so schön gewesen wie dieses Mal im Spital. Ihre Familie war zu Besuch gekommen, hatte Dekorationen und Geschenke mitgebracht, und sie durfte für einmal einfach nur sein, ohne sich um alles kümmern zu müssen.»
«Festtagszauber am Krankenbett». Thurgauer Zeitung. 29.11.2024