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Klinische Logopädie in der Palliative Care

Klinische Logopädie in der Palliative Care

Carole Wolfensberger, Logopädin am Stadtspital Zürich. (zvg)

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10. September 2024 / Wissen
Die Logopädie kann in palliativen Situationen eine wichtige Rolle einnehmen. Sprechen, Schlucken und Atmen stehen im Zentrum. Ein Gespräch mit Carole Wolfensberger, Logopädin am Stadtspital Zürich.
Frau Wolfensberger, womit beschäftigt sich die Logopädie in der Palliative Care?

C.W.: Die klinische Logopädie befasst sich mit Diagnostik, Beratung und Therapie von Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen. Das ist unser allgemeiner Leistungsauftrag. Bei der Palliative Care sind die Themen die gleichen, aber die Zielsetzung ist eine andere. Es geht in erster Linie um die Wünsche der Patientinnen und Patienten. Wo fühlen sie sich eingeschränkt? Darauf achtet die Logopädin und setzt die Ziele entsprechend.

Bei Palliativpatienten ist weniger die Wiederherstellung dieser Fähigkeiten ein Ziel als der Umgang mit den gegenwärtigen Schwierigkeiten?

Ja, im klinischen Alltag auf der Palliativstation ist Autonomie ein grosses Thema, die Partizipation am Alltag. Ich arbeite eng mit den anderen Fachleuten zusammen, mit jenen aus der Ernährungsberatung, der Physiotherapie, der Pflege und Ärzteschaft sowie der Seelsorge. Auf diese Weise versuchen wir gemeinsam, ein individuelles Ziel für den Betroffenen anzustreben. Das kann zum Beispiel der Wunsch sein, dem Enkelkind noch eine Geschichte vorzulesen. Oder das Lieblingsglacé zu essen. Als Therapeutin muss ich kreativ sein, ungewöhnliche Lösungen finden. Die Patientin an die Hand nehmen und sie auf ihrem Weg begleiten.

Bei vielen Palliativpatientinnen und -patienten ist die Kommunikation beeinträchtigt. Was können Sie als Logopädin da tun?

Es kommt darauf an, was die Ursache der Einschränkung ist. Sind es neurogene Sprachstörungen oder durch einen Tumor im Mundbereich ausgelöste Sprechstörungen? Die Therapiemethode muss der Krankheit angepasst werden. Manche brauchen alternative Kommunikationsmittel wie Bilder, Tafeln mit Buchstaben, je nachdem auch Stift und Block. Und dann gibt es digitale Mittel, wie zum Beispiel eye-tracking-devices für ALS-Patienten. Das Hilfsmittel ist je nach Möglichkeiten und Wünschen ein anderes.

Können Sie Beispiele nennen?

Wir machen Stimmübungen zur Lockerung oder wir versuchen die Atmung anzupassen, damit jemand mehr Luft bekommt. Wir üben vielleicht, eine höhere Lautstärke der Stimme zu erzielen. Bei schwierigen Begriffen kann man Alternativen suchen, die einfacher auszusprechen sind. Das Kommunikationsverhalten kann angepasst werden. Grundsätzlich geht es darum, die Palliativpatienten zeitnah zur Kommunikation zu bringen und nicht darum, den vorangegangenen, gesunden Zustand zu erreichen.

Beziehen Sie auch Angehörige in diesen Prozess ein? Die müssen ja auch wissen, wie sie kommunizieren können.

Ja, Beratung ist ein wichtiger Aspekt. Einerseits sollen die Angehörigen nachvollziehen, was mit der Patientin passiert. Das Verstehen der Krankheit verbessert die Kommunikation zwischen den Beteiligten. Anderseits wollen wir die Angehörigen befähigen, selbst in die Handlung zu kommen. Etwa neue Kommunikationsmittel einzubeziehen. Oder das Sprechverhalten anzupassen: Langsam reden, Hintergrundgeräusche meiden, das Mundbild deutlich zeigen. Es gibt schon Strategien und Tricks, um den Angehörigen zu helfen und sie in ihrer Kommunikation selbstbewusster machen. Es ist schön, wenn man als Logopädin dann sieht, dass sich alle wohlerfühlen dank dieser Unterstützung und der Frust über die abnehmende Kommunikation nicht mehr so gross ist.

Zur Logopädie gehört nicht nur das Sprechen, auch mit Dysphagie beschäftigen Sie sich.

Schluckstörungen treten bei vielen schweren Krankheiten auf. Und sie sind ein grosses Thema, weil Essen und Trinken ein Grundbedürfnis sind. Einerseits ist es lebenserhaltend, anderseits hängt es mit Genuss und Lebensqualität zusammen. Auch für Beziehungen sind Essen und Trinken bedeutend – zusammen einen Kaffee trinken, zusammen einen Restaurantbesuch geniessen. Am Lebensende, wenn solche Schluckstörungen aufkommen können, dann beschäftigt alle die Frage, wie die Ernährung sichergestellt werden kann. Da kommen vor allem bei den Angehörigen Sorgen auf. Und das Verschlucken kann gefährlich werden, etwa dass jemand eine Lungenentzündung bekommt.

Und was können Sie raten?

Wir klären ab, welche Einschränkungen bestehen und leiten entsprechende Massnahmen ein – natürlich immer nur, wenn die Patientin oder der Patient dies wünscht. Man kann zum Beispiel Kostformen anpassen oder mal einen anderen Becher ausprobieren. Wichtig ist, auf das Bedürfnis der Betroffenen einzugehen. Manche wollen gar nicht mehr essen. Das ist sehr individuell.

Für die Angehörigen ist es schwierig, wenn die Patientin nicht mehr isst. Was sagen Sie ihnen?

Wenn es nicht mehr möglich ist, Nahrung aufzunehmen, dann muss man gemeinsam schauen, weshalb die Betroffene nicht mehr isst. Was sind die Einschränkungen, die bestehen? Ist es eine neurogene Ursache, bei der das Schlucken betroffen ist? Oder ist es fehlender Appetit? Dann gibt es verschiedene Optionen. Wir schauen, was noch möglich ist, und besprechen uns mit Patienten und Angehörigen. Und wir diskutieren die Situation im gesamten Behandlungsteam und richten bei Bedarf den Notfallplan danach.

Nicht selten verlangen die Angehörigen eine künstliche Ernährung, weil sie Angst haben, den Schwerkranken «verhungern» zu lassen.

Für die Angehörigen ist so ein Entscheid tatsächlich sehr belastend. Sie wollen den Schwerkranken nicht «verhungern» lassen, sie wollen, dass «etwas gemacht» wird. Das ist ein Prozess, in welchem man die Angehörigen gut begleiten muss, auf Fragen eingehen, den Prozess erklären. Sie sollen nachvollziehen können, was im Körper passiert, dass der Bedarf nach Nahrung nicht mehr vorhanden ist.

Wenn jemand nicht mehr schluckt, dann wird die Mundpflege zum Thema. Weshalb ist die so wichtig?

Es geht um die Mundhygiene, aber auch um das Befeuchten des Mundraumes. Es gibt ganz viele Aspekte, welche zu dieser Mundtrockenheit führen. Es kann die Atmung sein, welche den Mund sehr stark austrocknet, es gibt den fehlenden Speichelfluss – es gibt auch ganz viele Medikamente, die zu Mundtrockenheit führen können. Wegen der Mundtrockenheit wird dann wiederum das Schlucken schwierig. Aber es kann auch zu einem übermässigen Speichelfluss kommen, bei welchem man die Sekrete nicht mehr selbst auswerfen kann.

Hier können die Angehörigen einbezogen werden.

Ja, viele helfen mit bei der Mundpflege. Gerade dann, wenn die Angehörige keine Nahrung mehr zu sich nimmt. Da kann Mundpflege zu einer Art Liebenssprache werden. Die Angehörigen sind froh, wenn sie etwas machen können, dann belastet das Ohnmachtsgefühl, das so viele verspüren, etwas weniger.

In der letzten Lebensphase fällt vielen das Atmen sehr schwer, bis hin zu Erstickungsgefühlen. Wie können Sie da helfen?

In der Logopädie schauen wir die Atmung vor allem wegen der Schutzreflexe gut an, zum Beispiel, ob die Patientin abhusten kann. Dort kann die Physiotherapie unterstützend wirken. Auch technische Hilfsmittel gibt es. Und auch für die Kommunikation ist die Atmung zentral. Ohne Luft kann man keine Stimme bilden.

Ihre Arbeit ist sehr vielfältig. Sie müssen sich auf jeden Patienten, auf jede Patientin neu einstellen.

Für mich ist ein offenes Ohr das Wichtigste. Völlig unvorbelastet ins Zimmer eintreten und einfach mal fragen, wie es dem Betroffenen geht. Zuerst möchte ich ihn als Person wahrnehmen. Und dann hören, was er oder sie mir gegenüber äussert oder mir anvertraut. Nicht ich als Therapeutin sage gleich, was zu tun ist, sondern die Patientin oder der Patient steht im Zentrum. Ich erzähle dann meist, was ich anbieten und wie ich unterstützen kann. Häufig wissen die Patienten gar nicht, was sie brauchen, bis ich ihnen erklären kann, wie und wo ich helfen kann.

palliative zh+sh / Bettina Weissenbrunner