palliative zh+sh

Sprunglinks/Accesskeys

Medienschau November 2023

Medienschau November 2023

Weitere Infos

Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen des vergangenen Monats. (Bild gme)

Portrait

Weitere Infos zum Thema

Dokumente zum Thema

Video zum Thema

05. Dezember 2023 / Medien
Die spezialisierte Langzeitpflege im Kanton St. Gallen soll gefördert werden, im Kanton Uri wird der «Aktionsplan Palliative Care» vorangetrieben und FMH-Präsidentin Yvonne Gilli wehrt sich gegen den Eindruck, dass am Lebensende viele teure und verzichtbare Behandlungen durchgeführt werden. Dies und weitere Themen in unserer Medienschau vom November 2023.
Die St. Galler Regierung legt einen Gesetzesentwurf zur Förderung der spezialisierten Langzeitpflege im Kanton vor. Mit der neuen Regelung sollen anerkannte Betagten- und Pflegeheime höhere Kosten für aufwendige Pflegeleistungen geltend machen können, wie das «Tagblatt» Anfang November schreibt. Dies führt zu Mehrkosten von 3,3 Millionen Franken pro Jahr für den Kanton. Die Gemeinden bleiben weiterhin zuständig für den gesamten Bereich des Grundangebots. Bereits heute übernimmt der Kanton höhere Pflegekosten bei den Hospizen (spezialisierte Palliativpflege). Die bestehende Finanzierung reiche aber nicht in allen Fällen aus. Der Kanton werde auch in diesem Bereich künftig mehr übernehmen. Die jährlich 3,3 Millionen Franken Mehrkosten entsprechen dem aktuell errechneten Leistungsbedarf für 90 Plätze in der Gerontopsychiatrie (1,0 Mio.), 30 Plätze in der Schwerst- und komplexen Pflege (1,6 Mio.) und 12 Plätze in den Hospizen (0,7 Mio.). Aufgrund der jährlichen Mehrkosten untersteht der Entwurf dem obligatorischen Finanzreferendum. Gemäss aktuellem Zeitplan ist eine Volksabstimmung 2024 möglich und damit auch eine Umsetzung auf Anfang 2025.

***

Im Kanton Uri trafen sich kürzlich im Rahmen des kantonalen Aktionsplanes für die Palliative Care alle involvierten Akteure für eine Beurteilung der bereits umgesetzten und noch geplanten Massnahmen. Ein erfolgreicher Meilenstein des «Aktionsplans Palliative Care Uri» – so sind sich alle Workshopbeteiligten einig – sei der neue Behandlungs- und Therapieplan, der im Sommer 2022 eingeführt wurde und von allen Akteurinnen und Akteuren im Kanton Uri angewendet wird. Verbessert werden soll die Information über die in den Institutionen angebotenen Palliative Care Leistungen, die Unterstützung der Institutionen durch mobile Palliative-Care-Dienste sowie der Einbezug der Hausärztinnen und Hausärzte. Ausserdem sollen «ein bis zwei Plätze mit Hospiz-Charakter» in einem Urner Pflegeheim geschaffen werden. Die Umsetzung des «Aktionsplan Palliative Care Uri» wird weiterhin von der Gesundheits-, Sozial- und Umweltdirektion vorangetrieben und von einer Steuergruppe begleitet. Ziel ist, im Kanton Uri künftig für die ambulante und auch stationäre Palliativ Care bedarfsgerechte Leistungen zur Verfügung stellen zu können.
«Viele Behandlungen, die eine Lebenszeitverkürzung mindestens in Kauf nehmen»

«Das Leben wird nicht um jeden Preis verlängert», wehrt sich FMH-Präsidentin Yvonne Gilli gegen den Eindruck, dass am Lebensende viele teure und verzichtbare Behandlungen durchgeführt werden. In einem Gastbeitrag in medinside schreibt sie: «Ich schätze es sehr, wenn mehr über den Nutzen der Medizin gesprochen wird – die Perspektive darauf ist aber insbesondere bei sterbenskranken Menschen oft sehr einseitig.» Im kürzlich erschienen Artikel «Macht man im Alter zu viel des Guten?» werde der Palliativmediziner Andreas Weber mit den Worten zitiert: «Wir machen ganz viel in den Spitälern, was dem Patienten wenig bringt oder sogar schadet.» Natürlich gebe es dieses Problem, schreibt Yvonne Gilli nun. Aber sie würden aus sehr komplexen Situationen heraus entstehen und liessen sich nicht verallgemeinern. Zudem sei es im Vorfeld oft nicht eindeutig zu sagen, ob eine Behandlung dem Patienten wenig bringe oder gar schade.

Ein Synthesebericht des Nationalforschungsprogramms NFP 67 zum Lebensende zeige, dass heutzutage die allermeisten Todesfälle absehbar seien und in 80 Prozent aller absehbaren Todesfälle, Ärzte und Ärztinnen Entscheidungen treffen würden, die eine Lebenszeitverkürzung mindestens in Kauf nehmen. Zudem sei der Anteil von Patienten mit Behandlungsabbruch beziehungsweise Behandlungsverzicht innerhalb von zwölf Jahren von 41 auf 49 Prozent gestiegen. «Das Leben wird also nicht um jeden Preis verlängert, das Gegenteil ist die Regel – und dies immer mehr», schreibt die FMH-Präsidentin. Zur Palliative Care meint sie: Würde man endlich die palliative ambulante Versorgung stärken, könnte man sowohl Kosten sparen als auch die Lebensqualität am Lebensende erhöhen. «Dies haben wir im Tardoc abgebildet. Die Genehmigung des Tardoc und der Ausbau von Palliative Care mit Hilfe ausreichender Fachpersonen wäre ein wichtiger Schritt.»

***

Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin hat Jan Gärtner, Tanja Fusi-Schmidhauser und KollegInnen mit einem Preis für ihre Arbeit zum Effekt von Opioiden gegen Atemnot bei Herzinsuffizienz ausgezeichnet. In dem methodisch exzellenten systematischen Review und der Metaanalyse wird gezeigt, dass Opioide keinen Vorteil gegenüber Placebo zur Behandlung von Atemnot bei Herzinsuffizienz bringen, dafür aber vermehrt Nebenwirkungen aufweisen. Die Autorinnen und Autoren postulieren, dass Opioide zur symptomorientierten Behandlung von Atemnot bei Herzinsuffizienz nur in Notfallsituationen oder beim Versagen anderer Optionen eingesetzt werden sollten. Die Forschungsarbeit wurde von der Jury als hochrelevant, aktuell für die Versorgungspraxis von Nichttumorpatientinnen und -patienten und als wichtiger Impuls für die Reflexion der Versorgungspraxis bewertet. Der Hauptbefund ist denn auch überraschend und wird derzeit in der Fachwelt kontrovers diskutiert. Die Arbeit liefert nach Einschätzung der Jury darüber hinaus auch einen wichtigen und notwendigen Impuls zur Evidenzdiskussion. Jurypräsident Prof. Dr. Roman Rolke fasst an der Verleihung die Entscheidung zusammen: «Insgesamt sind die Ergebnisse der Arbeit hochrelevant, wichtig, spannend, aussagekräftig und überraschend.»
«Die Solothurner Regierung sieht sich nicht in der Pflicht»

Das einzige Sterbehospiz Solothurns steckt weiterhin in finanziellen Schwierigkeiten. Wer hilft? «Kanton sieht sich nicht zuständig», titelt die «Solothurner Zeitung» Anfang November. Vor rund eineinhalb Jahren wurde in Derendingen das erste Solothurner Sterbehospiz eröffnet. Seit der Eröffnung steckt das Heim in finanziellen Schwierigkeiten, respektive ist auf Spenden angewiesen, um den Betrieb aufrechterhalten zu können. Grund: Die Kosten werden durch die Tarife nicht gedeckt. Das soll sich ändern, fordern Kantonsrätinnen und Kantonsräte fraktionsübergreifend. Der Kanton soll die gesetzlichen Grundlagen ausarbeiten, damit das weitere Bestehen des Hospizes gesichert ist. Dass Handlungsbedarf vorhanden ist, weiss auch die Regierung. Nur: Der Kanton sieht nicht sich selbst in der Pflicht. Er verweist auf die nationalen Bemühungen, die im Gang sind, um die Situation der Sterbehospize besser zu regeln. Aktuell ist das Eidgenössische Departement des Innern dabei, den Finanzbedarf für Palliative-Care-Leistungen zu ermitteln. Die Ergebnisse werden für Mitte 2024 erwartet.

***

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Gilt das auch für todgeweihte Menschen in ihren letzten, schweren Stunden? Die Reformierte und Katholische Landeskirche gingen zusammen mit Palliativ Zug der nicht ganz einfachen Thematik auf den Grund. Am Gespräch nahmen der katholische Spitalseelsorger Roland Wermuth und der reformierte Zuger Pfarrer Andreas Maurer teil. Sie beide wissen aus Erfahrung: Selbst in den schwersten Momenten kann Humor ein Weg sein, um das Leiden zu lindern – wenigstens für einen Moment. «Mit Humor lässt sich emotionaler Abstand gewinnen», sagt Wermuth. «Das kann sowohl Betroffenen wie auch Angehörigen guttun. Es hat etwas Befreiendes.» Andreas Maurer wirft im Kontext mit der Sterbebegleitung den Begriff «Hebammen des Lebens» ein. Eine treffende Metapher: «Denn wer einem sterbenden Menschen zur Seite steht und in dieser Situation alles auf den nahenden Tod ausgerichtet ist, so sucht man nach Wegen, selbst in den letzten Stunden noch Leben in die Situation zu bringen, beispielsweise mit Humor.» Maurer hat schon sterbende Menschen erlebt, die ihn überrascht haben, indem sie selbst angesichts des nahenden letzten Atemzuges noch zu Scherzen aufgelegt waren. «Umgekehrt ist es allerdings eine Gratwanderung», betont Maurer. «Wenn man als Seelsorger aktiv Humor einbringen möchte, so braucht es sehr viel Empathie, Taktgefühl und wohlgewählte Spontanität. Ansonsten könnte es schiefgehen, denn selbstverständlich sind nicht alle bereit dafür.» Aber wenn sich zeige, dass eine Basis da ist, so solle man es als Seelsorger aufgreifen.

***

«Es ist wichtig, über das Sterben zu reden», sagt Danielle Lemann. Mit dieser Überzeugung war die Langnauerin zu Beginn ihrer Berufslaufbahn allerdings weitgehend allein, wie sie gegenüber der «Bernerzeitung» sagt. Dies zeigte sich etwa, als sie als junge Assistenzärztin in einem Spital einem Patienten mitteilte, dass er Krebs habe und sterben werde. Das habe einen heftigen Streit mit dem Chefarzt zur Folge gehabt, erzählt die pensionierte Hausärztin. In den 1980er-Jahren habe man mit den Patienten nicht über ihre Diagnose sprechen dürfen. «Ich habe es noch erlebt, dass Sterbende bei der Arztvisite gar nicht besucht wurden», erinnert sie sich. Heute sehe das zum Glück etwas anders aus. «Wesentlich ist, dass man mit den Patienten und ihrem Umfeld über die Krankheit und ihre Vorstellung vom Sterben spricht.» Und darüber, unter welchen Umständen die kranke Person bis zuletzt daheimbleiben kann.

Als Danielle Lemann vor über zehn Jahren anregte, Palliative Care im oberen Emmental zu institutionalisieren, habe es seitens der älteren Hausärzte geheissen: «Das ist nicht nötig, Sterbebegleitung haben wir immer schon gemacht.» Auch als Mitglied des Grossen Rates des Kantons Bern musste die Langnauer SP-Politikerin eine Abfuhr einstecken, als sie einen Vorstoss in Sachen Palliative Care machte. Gar abgelehnt wurde 2009 ihre Forderung nach einer Professur für Palliative Care an der Uni Bern. Doch 2012 wurde am Inselspital ein universitäres Zentrum Palliative Care mit Professor Steffen Eychmüller geschaffen. Die Zeit gab Danielle Lemann recht. Vor elf Jahren gründete sie das Netzwerk Palliative Care Oberes Emmental, das die Fachleute aus den verschiedenen Bereichen zusammenbrachte. Die Möglichkeiten der «ummantelnden Fürsorge» sei nun allen Beteiligten bekannt, Barrieren seien abgebaut. Und der Kanton Bern sei selber auch aktiv geworden.
«Das Bewusstsein hat sich sehr gewandelt»

Dass sich in den letzten Jahrzehnten einiges getan hat in der Palliative Care, zeigt auch ein längeres Porträt der Basler Zeitung über Vreni Grether. Vor 27 Jahren hat die heute 80-Jährige die Arlesheimer Palliativklinik im Park (vormals Hospiz im Park) gegründet. Damals eine absolute Neuheit in der Nordwestschweiz. Die meisten Patientinnen und Patienten starben zu dieser Zeit ohne spezialisierte Zuwendung oder die Möglichkeit, Art und Ort ihres Lebensendes selbst zu bestimmen. «Früher hat man in den Spitälern zum Teil sterbende Menschen aus dem Zimmer geholt und in ein Putzräumchen gesteckt, weil man nicht wollte, dass sie neben einem Patienten liegen, der weiterleben wird», erinnert sich die inzwischen 80-Jährige. Heute ist das anders. Viele Spitäler verfügen über eine Abteilung für Palliative Care oder einen mobilen Dienst. Auch soll niemand mehr unnötig leiden müssen. Vreni Grether sagt: «Das Bewusstsein hat sich sehr gewandelt.»

Für ihre Errungenschaften erhielt Vreni Grether 2018 von der medizinischen Fakultät der Universität Basel die Ehrendoktorwürde. Eine späte Anerkennung, wurde die Klinikgründerin doch ursprünglich für ihre Vision im Gesundheitsbereich belächelt. «Ich war fast 50 Jahre alt und musste bei den Ärzten die Klinke putzen», erinnert sich Grether. Der Tenor: «Das sei ja nett, aber nicht nötig.»

***

In der Diskussionsrunde «Hüt im Club» auf Tele D trafen sich Marina Bruggmann-Widmer, Geschäftsleiterin des Hospizdienstes Thurgau, Pfarrer Beat Fräfel und Petar Sabovic von der Wunschambulanz zum Gespräch. Welchen Stellenwert hat Palliative Care? Was bedeutet eine palliative Diagnose? Was gehört überhaupt alles zu Palliative Care? In der Diskussion beschreiben die drei Teilnehmenden ihre beruflichen und privaten Erfahrungen mit Palliative Care, Tod und Trauer. Ebenfalls wird das Projekt «Letzte Hilfe» vorgestellt. «Der Kurs ist nicht einfach nur da, um Ängste zu nehmen. Ziel ist es, dass der Einzelne ein wenig befähigt wird, jemandem am Lebensende beizustehen», sagt Beat Fräfel. Nach dem Kurs mit seinen vier Modulen wüssten die Teilnehmer mehr darüber, was sie machen können, wenn ihr Vater oder ihr Sohn im Sterben liege. (siehe auch unseren Artikel zur «Letzten Hilfe» (www.pallnetz.ch).
«Ich darf nicht einfach über seinen Kopf hinweg entscheiden»

Vom Alltag im Zürcher Lighthouse berichtet eine Reportage im «Zürcher Unterländer». Dabei begleitet der Journalist unter anderem die Pflegefachfrau Doris Pfister. Die 55-Jährige arbeitet seit 8 Jahren im Lighthouse und hat an diesem Tag die Leitung in der Pflegeabteilung inne. Hier sei immer viel los, sagt Pfister, während ihr Telefon ununterbrochen klingelt. Gerade war sie bei einem Bewohner, der sich nur mit den Augen und der Hilfe eines Computers verständigen kann. Der Bewohner will jetzt aber für sich sein, seine Medikamente will er später einnehmen. Auch wenn diese Entscheidung dem Patienten nicht guttut, muss die Pflegefachfrau sie akzeptieren. «Er ist total da», sagt sie. «Ich darf nicht einfach über seinen Kopf hinweg entscheiden. Es geht hier um Respekt und Würde. »

Respekt. Würde. Autonomie. Das sind die obersten Gebote im Lighthouse. Und der Grund, wieso jährlich 60 bis 80 Menschen hierherkommen, um zu sterben. Die Entscheidung darüber, wie man geht, ist häufig das Letzte, was den Bewohnenden noch geblieben ist. Das sei gleichzeitig das Schwerste an diesem Job, sagt Doris Pfister. «Das Aushalten.» Zu wissen, was das Beste für die Bewohner ist, und es doch nicht tun zu können – weil sie es nicht wollen. «Oft denke ich: Wie wäre ich in dieser Situation?» Pfister, gelernte Drogistin, hat es bei ihrer Zweitausbildung zur Pflegefachfrau schon immer am besten bei den Sterbenden in der Palliativpflege gefallen. Das grösste Privileg sei, wenn sie dabei sein dürfe, wenn jemand gehe. Das komme immer wieder vor und der Tod kommt im Hospiz selten ohne Vorankündigung. Die Bewohnenden fangen dann an, weniger zu essen, teilen sich weniger mit, haben Mühe, zu atmen. Die Augenhöhlen werden grösser, die Finger bläulich, die Lippen auch. Die Atmung wird unregelmässig, auf der Haut werden Marmorierungen sichtbar. «Einige gehen ganz ruhig, andere kämpfen», sagt Pfister. «Aber es ist jedes Mal ein spezieller Moment. Wenn du siehst, wie der letzte Atemzug entweicht. Wenn die Person geht und wir zurückbleiben.»

***

Auch der «Tages-Anzeiger» gibt einen Einblick in den Alltag im Lighthouse Zürich. Im täglichen Podcast «Apropos» Anfang November steht das Sterbehospiz im Zentrum. Im Lighthouse ist der Alltag anspruchsvoll und erfordert von den Mitarbeitenden Einfühlungsvermögen, um den individuellen Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten gerecht zu werden. Einer der Patienten ist Frank, ein 74-jähriger ehemaliger Psychotherapeut, der an einem Lungentumor leidet. Er hat sich entschieden, seine verbleibende Zeit im Sterbehospiz zu verbringen, um rund um die Uhr Betreuung und Hilfe bei Schmerzen zu erhalten. Frank erzählt im Podcast von seinem Alltag im Lighthouse und wie er mit dem Thema Tod umgeht. Er schreibt unter anderem Gedichte, macht Musik und malt, um seine Schmerzen zu verarbeiten.
«Das Existenzielle muss nicht immer traurig sein»

Mit dem Projekt «Kultur am Bettrand» bringt Folksängerin Shirley Grimes Musik zu schwer kranken Menschen. «Singen ist für mich das Natürlichste der Welt», sagt die Folksängerin und Singer-Songwriterin. Sie wuchs in einem kleinen Dorf in Südirland auf. «Nach der Kirche ging man in den Pub und sang gemeinsam.» Das Mädchen mit den roten Locken und der starken Stimme stach schon damals heraus. Mittlerweile ist Grimes eine etablierte Folksängerin. Sie hat grosse und kleine Bühnen gerockt, mehrere Alben herausgegeben, war oft auf Tournee. Mit ihrem Projekt «Kultur am Bettrand» will sie Schwerkranken etwas ganz Besonderes schenken. «Ich besuchte einmal eine kranke Person, die sich in einer palliativen Phase ihrer Krankheit befand und sehr schwach war. Sie wollte einfach schöne Musik hören.» Lustige und traurige Momente habe es im Krankenzimmer gegeben, in dem sich die Angehörigen rund um das Bett versammelt hätten. «Denn das Existenzielle muss nicht immer traurig sein», betont Grimes.

Im Projekt «Kultur am Bettrand» gibt es nebst Musik auch «Poesie», «Storytelling» und «Performance». Die gebürtige Irin aus Bern zählt dabei auf ein grosses Netzwerk engagierter Kulturschaffender, wie der «kultur-tipp» schreibt. Für Lesungen konnte Shirley Grimes etwa die Autorin Ariane von Graffenried oder den Humoristen Matto Kämpf gewinnen, für Performances die Schauspielerin Ruth Schwegler. Und der Geschichtenerzähler Walter Däpp ist bei älteren Menschen besonders beliebt.

***

Der Verein palliative gr bietet einen sicheren Ort zum Trauern – das Trauercafé. Das Projekt wurde ins Leben gerufen, um Personen, die einen geliebten Menschen verloren haben, zu unterstützen. Es wird an drei Standorten angeboten, wie das Bündner Tagblatt schreibt: im Seniorenzentrum in Thusis, im Kloster der Dominikanerinnen in Ilanz sowie im Titthof in Chur. Dort trifft die Journalistin auf Christa Kaestner. Die gelernte Pflegefachfrau hat vor fast einem Jahr ihre Mutter verloren, nachdem sie sie zehn Jahre bei sich zu Hause versorgt hatte. Die Yogalehrerin und Therapeutin ist nach eigener Aussage dankbar, dass sie sich bis zum Ende selbst um ihre Mutter kümmern durfte und diese in ihrer Nähe hatte. «Trauer fühlt sich durch das Auf und Ab an wie ein Wellenbad», erzählt sie. «Es gibt bei mir oft diese Triggerpunkte.» Am Vortag sei sie beispielsweise in einem Laden gewesen und habe da Weihnachtsschmuck gesehen. Dies habe sofort Erinnerungen in ihr geweckt, sodass sie das Gebäude nur noch habe verlassen wollen. «Ich konnte auch lange Zeit keine Musik hören, weil dann Erinnerungen hochkamen», fährt die Yogalehrerin fort. Christa Kaestner ist froh, dass es das Trauercafé gibt, wo solche Erfahrungen nicht gewertet werden.
«Ich muss derjenige sein, der handlungsfähig bleibt»

Und dann werfen wir noch einen Blick über die Landesgrenzen. Die österreichische Zeitung «der Standard» veröffentlicht ein Interview mit dem Onkologen, Palliativmediziner und Schriftsteller David Fuchs. Hunderte Menschen hat er beim Sterben begleitet und hat ihnen beim Leben vor dem Tod geholfen. Er hat den letzten Atemzug viele Male erlebt, wie er in seinem Buch «Zwischen Mauern» beschreibt. Es sei für einen Palliativarzt wichtig, berührbar zu bleiben und gleichzeitig eine gesunde Distanz zu haben. «Denn wenn ich immer mit der ganzen Emotion mitgehe, bin ich schnell ausgebrannt. Ich muss auch in Situationen, die zum Teil sehr tragisch und krisenhaft sind, wo grosse Gefühle im Spiel sind, derjenige sein, der handlungsfähig bleibt und entscheiden kann, was zu tun ist.» Man müsse die Balance zwischen Abstand und Berührbarkeit finden, jeden Tag neu.

In seinem aktuellen Buch geht es unter anderem um die Frage, was es bedeutet, wenn man einen Patienten nicht mag, weil er ist, wie er ist oder war? Wenn er zum Beispiel ein gewalttätiger Alkoholiker ist, der jetzt stirbt? Natürlich habe jeder Mensch die gleiche Behandlung verdient, Fürsorge, Pflege, Medizin. Aber es gebe Patienten, die ihm total sympathisch seien und dann solche, die ihm weniger sympathisch seien, oder sie tun oder sagen Dinge, die er ablehne. «Natürlich verhalte ich mich professionell, aber es macht etwas mit mir, und es ist nicht das Gleiche. Mir geht es damit nicht gleich.»
«Ich lass Dich gehen: Wenn die Eltern sterben»

Kann man sich auf den Tod der Eltern vorbereiten? Wie ist es, wenn sie gestorben sind? «Ich lass Dich gehen: Wenn die Eltern sterben» ist eine eindrückliche Reportage aus ungewohntem Blickwinkel. Anfang November wurde sie auf SWR und ARD ausgestrahlt. Es ist ein sehr persönlicher Film, bei welchem die Protagonistin Lea Semen gleichzeitig die Reporterin, Redaktorin und Protagonistin des Dok-Filmes ist. Leas Mutter ist 66 Jahre alt. Kein Alter, um zu sterben. Aber ein Alter, um über das Sterben nachzudenken. Und über das, was zu regeln ist: Patientenverfügung, Platz im Friedwald, die Aufteilung ihres Nachlasses. Es sind die konkreten Dinge, die Lea bewusst machen, dass auch das Leben der Menschen, die sie von Anfang an begleitet haben, endlich ist.

Die Erfahrung teilt sie mit Corinna: Ihre Mutter steht am Ende ihres Lebens. Wie verbringt man miteinander die letzten Wochen? Wie nimmt man gut voneinander Abschied? Diese Frage stellt die Autorin auch anderen jungen Erwachsenen, die mit dem Tod ihrer Eltern konfrontiert sind. «Das Höchste, was wir erreichen können, ist: gut zu gehen», sagt der Palliativmediziner Prof. Winfried Hardinghaus. «Wenn wir im Leben schon unzufrieden waren, dann sterben wir auch so! Wenn wir aber im Leben mit uns zufrieden waren, dann können wir auch zufrieden gehen. Also: leben Sie gut und zufrieden.»
palliative zh+sh / Bettina Weissenbrunner