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«Im Kinderhospiz wird gelebt, nur selten gestorben»

«Im Kinderhospiz wird gelebt, nur selten gestorben»

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Das Kinderhospiz Flamingo soll realisiert werden: Die Zürcher Regierung will sich mit einem Beitrag von 6 Mio. Franken beteiligen. (zvg)

Projekt

Projekt Flamingo
Visualisierung Architektur: APB Architekten AG, Uster / Visualisierung: Raumgleiter AG, Zürich

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25. September 2023 / Politik
Die Zürcher Regierung will das Kinderhospiz Flamingo mit 6 Mio. Franken unterstützen. Doch wie ist der Stand des Projektes und wie kommt die Planung in Fällanden voran? Ein Gespräch mit Elisabeth Brenninkmeijer, Geschäftsführerin Kinderhospiz Flamingo, und
Juerg Herren, Präsident Stiftung Kinderhospiz Schweiz.
In der Gemeinde Fällanden wird eines der ersten Kinderhospize der Schweiz realisiert. Wie ist der derzeitige Stand Ihres Projektes?

Juerg Herren: Grundsätzlich kommt unser Projekt gut voran. Die Baubewilligung ist ohne Rekurs erteilt worden. Wir hatten 132 Auflagen, die wir abarbeiten mussten und noch müssen. Aber das ist nicht ungewöhnlich. Es ging unter anderem um Umgebungsgestaltung, Zufahrten, Parkplätze und so weiter. Nun ist auch die zweite Rekursfrist abgelaufen und die Baubewilligung ist rechtskräftig. Wenn alles gut läuft, dann erscheint mir ein Baustart Ende dieses Jahres möglich, eine Eröffnung hoffentlich im vierten Quartal 2025.

Elisabeth Brenninkmeijer: Wir arbeiten mit dem Architektenteam bereits auf Hochtouren. Es macht Freude, die hellen, grosszügigen Räumlichkeiten in dieser wunderschönen Umgebung zu planen. Als Geschäftsführerin stelle ich mit meinem Projektleiter die Timelines auf und setze so die Meilensteine. Es geht auch bereits in die Details, beispielsweise im Bereich der Pflege, im psychosozialen Bereich und der Hauswirtschaft.

Der Zürcher Regierungsrat hat vor Kurzem 6 Mio. Franken für das Kinderhospiz Flamingo beantragt. Auch das ist gewiss ein Meilenstein.

J.H.: Wir haben sehr früh mit Regierungsrat Ernst Stocker und mit den Verantwortlichen für den Gemeinnützigen Fonds des Kantons Zürich Kontakt aufgenommen. Mit jenen Gesprächen haben wir den Grundstein für die Unterstützung des Projekts Flamingo gelegt. Unser Antrag wurde dann geprüft und mit den Fachdirektionen Rücksprache gehalten. Schon da hat sich gezeigt, dass die Unterstützung von Kantonsseite vorhanden war. Natürlich haben wir uns sehr gefreut, als am 7. September nun die positive Mitteilung des Regierungsrates kam.

Der Kantonsrat muss noch zustimmen, da die Ausgabe über 1 Mio. Franken liegt. Was denken Sie, ist im Rat zu erwarten?

J.H.: Nun läuft der politische Prozess weiter. Es ist an der Finanzkommission diesen Antrag zu beurteilen und ins Parlament zu bringen. Ich möchte betonen, dass es sich bei diesen 6 Mio. Franken nicht um Steuergeld handelt. Der Betrag kommt aus den Lotterieeinnahmen, die dem Kanton zufliessen.

Wären damit die finanziellen Mittel für den Bau gesichert?

J.H.: Wir rechnen mit Baukosten von rund 18 Mio. Franken. Unsere Absicht ist, einen Drittel durch eigene Mittel oder Spendenzusagen einzubringen. Ein Drittel wäre der Beitrag des Gemeinnützigen Fonds des Kanton Zürichs, den nun eben der Regierungsrat dem Parlament vorschlägt. Und ein Drittel soll die Baufinanzierung via Bank sein. Für die Deckung des Betriebsdefizit, das zu erwarten ist, sind wir derzeit mit weiteren Spendern in Kontakt.

Mit welchem Budget rechnen Sie für ein Betriebsjahr?

E.B.: Nach dem heutigen Wissensstand gehen wir davon aus, dass sich ein Aufwand bei Vollbetrieb von rund 5,5 Mio. Franken ergibt. Darin ist alles enthalten – vom Sachaufwand bis zu den Abschreibungen. Ein grosser Teil sind Personalkosten für Hauswirtschaft, Verwaltung, Pflege und Betreuung. Den Betrieb werden wir langsam hochfahren und starten wohl mit einer Pilotphase von etwa 50 Prozent, danach steigern wir die Patientenzahlen sukzessive, so dass wir nach zirka 3 Jahren Vollbetrieb haben sollten.

Diese Berechnungen dürften nicht einfach gewesen sein. Es gibt hierzulande noch kein Kinderhospiz, mit dem Sie sich vergleichen könnten.

E.B.: Ja, mit einem Hospiz für Erwachsene können wir uns finanziell nicht vergleichen. Kinder werden von den Kostenträgern nicht wie Erwachsene abgerechnet. Deshalb habe ich den Vergleich entsprechend der Kinderspitex gemacht. Kinder, die zu Hause betreut werden, bekommen meist IV. Einen Teil übernimmt die Krankenkasse, und dann gibt es noch die Restfinanzierung der Wohngemeinde. Sollten wir ebenfalls all diese Beiträge erhalten, könnten wir damit 70 Prozent unserer Kosten decken. Den Restbetrag müssen wir mit Spenden aufbringen.

J.H.: Wir haben immer gewusst, dass das Kinderhospiz nicht vollumfänglich via Kostenträger finanziert werden kann. Wir erbringen Leistungen, die im Gesetz einfach nicht vorgesehen sind. Ich glaube aber, dass Spenden in der Höhe von rund 1.2 Mio. Franken pro Jahr realistisch sind. Bisher erhielten wir vor allem Beiträge für den Bau. Jetzt, wo das Projekt vor der Umsetzung steht, können wir uns vermehrt auf die Akquisition von Spenden für den Betrieb konzentrieren.

Nicht nur die Finanzierung unterscheidet sich von einem Hospiz für Erwachsene. Auch die Konzepte sind verschieden.

J.H.: Ich sehe grundsätzlich drei Fälle, in denen die Kinder zu uns kommen werden. Einerseits, wenn sie aus einer akuten Situation kommen, beispielsweise aus einer Spitalbehandlung. Da können die Eltern langsam an ihre Aufgabe herangeführt werden, so dass der Start zu Hause dann auch gelingt. Im zweiten Fall soll die Familie entlastet werden – ein ganz wichtiger Punkt. Und der dritte Fall trifft ein, wenn das Leben des kleinen Patienten in der letzten Phase ist, dann, wenn die Eltern entscheiden müssen, ob das Kind zu Hause sterben soll oder im Hospiz.

E.B.: Unser Kinderhospiz Flamingo ist dazu da, das Familiensystem zu stützen und zu entlasten. Hier kümmert man sich um das kranke Kind, um die Eltern und um die Geschwister. Alle sind gleichwertig und bekommen die gleiche Aufmerksamkeit. Vielleicht kann eine Mutter seit langem mal wieder alleine einen Spaziergang machen, mit dem gesunden Geschwister spielen oder mit dem Partner ein Nachtessen geniessen. Durch die Entlastung und die psychosoziale Betreuung der Eltern und Geschwister in einem Kinderhospiz wird eine wichtige Präventionsarbeit geleistet, die später den Hinterbliebenen in vielen verschieden Lebensbereichen weiterhilft. Unser Kinderhospiz begleitet die Eltern und Geschwister über den Tod hinaus.

J.H.: Zusammenfassend könnte man sagen: Im Kinderhospiz wird vor allem gelebt, nur in den seltensten Fällen gestorben.

Im Gegensatz zu unseren Nachbarländern Deutschland oder Österreich gibt es in der Schweiz bis jetzt noch kein einziges Kinderhospiz. Weshalb?

E.B.: Meine Erklärung dafür ist, dass die Schweiz ein ausgezeichnetes ambulantes Setting hat und in der Vergangenheit sehr viel darin investiert hat. Wenn man das mit Deutschland, Österreich oder England vergleicht, dann sieht man, wie sehr unser Netz immer wieder ausgebaut wurde – denken wir an die Kinderspitex oder an die onkologische Spitex. Trotzdem braucht es ein Kinderhospiz, denn wir schliessen die Lücke zwischen Kinderspital und Kinderspitex-Organisationen.

J.H.: Eine Familie, die eine schwere Diagnose annimmt, sagt ja zu etwas, das sie noch gar nicht richtig abschätzen kann. Doch so ein Familiensystem ist anfällig und darf deshalb nicht ständig überlastet werden. Hier können wir mit dem Kinderhospiz ansetzen, damit sich die Situation dieser Familie nicht zusätzlich verschlimmert. Auch andere Anbieter – wie etwa die Spitex-Organisationen – können durch unsere Institution entlastet werden. Ich glaube deshalb, dass Kinderhospize künftig in der Schweiz genauso geschätzt und unterstützt werden wie in unseren Nachbarländern.

Zurück zum Projekt Flamingo in Fällanden: Wie kann man sich dieses Kinderhospiz vorstellen?

E.B.: Das Kinderhospiz Flamingo verfügt über 8 Patientenzimmer mit eigenen Nasszellen. Die meisten davon haben direkten Zugang zu einer Terrasse mit wunderschönem Ausblick. Ausserdem werden wir 8 Familienzimmer haben, welche flexibel gestaltet werden können, je nach Bedürfnis und Grösse der Familie. Das Haus wird bunt und fröhlich sein. Es ist kein Spital, sondern ein Zuhause. Jeder wird seinen Platz hier finden, sei es im eigenen Zimmer, im Spiel- oder Freizeitzimmer, im Aufgabenzimmer oder im Wohlfühlraum, einem sogenannten Snoezelraum. Für diverse Therapien gibt es Räumlichkeiten und auch einen Saal für Weiterbildungen. Es ist ein Ort, der komplett auf die Pädiatrische Palliative Care ausgerichtet wird.

Seit 10 Jahren bietet Ihre Stiftung Ferienwochen für Familien mit schwerkranken Kindern an. Welche Erfahrung haben Sie dort gemacht?

J.H.: Unsere Stiftung wurde 2009 gegründet. Bald erkannte man, dass ein Kinderhospiz zu realisieren nicht eine Sache von wenigen Monaten sein würde. Uns schien das Projekt einer Familienferienwochen eine gute Möglichkeit, ein Netzwerk aufzubauen und gleichzeitig betroffene Familien zu entlasten. Für viele Familien bedeuten diese Ferien in Davos der erste Urlaub seit langem, wenn nicht überhaupt der erste. Unsere Stiftung kam so zu Kontakten mit Kinderärzten, Kliniken und Spitex-Organisationen. Wir konnten auf diese Weise zeigen, welche Wertvorstellungen wir haben und wie wir arbeiten. Ich glaube, die Ferienwochen waren eine fast unabdingbare Erfahrung und wegweisend für viele Ideen, die wir nun im Flamingo realisieren können.
palliative zh+sh / Bettina Weissenbrunner