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Medienschau Juli 2023

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Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen des vergangenen Monats. (Bild: gme

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10. August 2023 / Medien
Im Kanton Aargau hat der Regierungsrat einen Kredit in der Höhe von 1,74 Mio. Franken für die Finanzierung der Palliative Care beschlossen. Der Kanton Wallis zahlt der Stiftung Hospiz «Maison Azur» 635 Franken pro Pflegetag. Und Luise Thut, Aargauer Pionierin der Palliative Care, ist 95-jährig verstorben. Diese und weitere Themen in unserer Medienschau vom Juli.
Für die Finanzierung der Palliative Care hat der Aargauer Regierungsrat einen Kredit in der Höhe von 1,74 Mio. Franken beschlossen. Mit gleich vier Massnahmen will der Kanton die Betreuung von Menschen mit chronischen oder unheilbaren Krankheiten erweitern. Der Bereich der Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Palliative Care soll ausgebaut werden, den Palliativpatientinnen und -patienten soll eine Fachperson der spezialisierten Spiritual Care / Seelsorge zur Seite gestellt werden. Weiter will der Regierungsrat punktuell eine spezialisierte Palliative Care in Pflegeheimen ermöglichen, und eine Koordinationsstelle für Freiwillige im Kanton soll gewährleistet werden. Bereits seit 2015 unterstützt der Kanton Aargau finanziell eine Anlaufstelle für Betroffene, Weiterbildungen in der palliativen Pflege für Fachpersonen und Freiwillige sowie die Fachstelle für die ambulante, spezialisierte Palliative Care.
«Ihrem Engagement ist die Entstehung des Hospiz Aargau zu verdanken»

«Für mich ist der Tod etwas ganz Normales», sagte Luise Thut im Videofilm, welcher zu ihrem 95. Geburtstag im Februar dieses Jahres gedreht wurde. Sie meinte damit, dass sie sich bemüht hat, dem Tod das Tabu zu nehmen, und dass sie die Art und Weise, wie wir sterben oder sterben müssen, stets thematisierte. Im Februar/März 2023 wurde das Lebenswerk der Pionierin der Palliativpflege mit einer Ausstellung im Müllerhaus Lenzburg geehrt (siehe auch Medienschau vom Januar 2023). Ihrem Engagement ist die Entstehung des Hospiz Aargau zu verdanken, jener Institution, welche Schwerkranke und ihre Angehörige in den Bereichen stationäres Hospiz, ambulanter Hospizdienst und Trauertreff begleitet.

Luise Thut hatte den Hospiz-Gedanken in den USA kennengelernt, als sie eine an Krebs erkrankte Freundin begleitete. Unermüdlich weibelte sie nach ihrer Rückkehr in die Schweiz für ihre Idee, schrieb Briefe, bildete sich weiter. Sie scharte Gleichgesinnte um sich und gründete schliesslich mit sieben Bekannten im Jahr 1994 den Aargauer Hospizverein. Anfänglich bot dieser eine ambulante Begleitung von schwer Erkrankten an, der Traum von Luise Thut blieb aber ein stationäres Hospiz. 2005 konnte sie diesen in den Räumen des ehemaligen Klosters Gnadenthal in Niederwil verwirklichen. 2010 erfolgte der Umzug an den heutigen Standort in Brugg.

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Manuela Weichelt (55) übernimmt die Leitung der Palliativ-Fachgesellschaft palliative.ch. Sie ist diplomierte Pflegefachfrau, Sozialarbeiterin und Gesundheitswissenschaftlerin. Sie war von 2007 bis 2018 Regierungsrätin im Kanton Zug und wurde 2019 als erste Zuger Nationalrätin (Grüne) ins Parlament gewählt. Ihr Engagement begründet Weichelt in einer Mitteilung folgendermassen: Sie wolle sich einsetzen für «die Würde der Menschen, ihre Selbstbestimmung und ihr Recht auf eine bestmögliche Lebensqualität bis ans Lebensende». Ihre Forderungen: «Für die letzte Phase unseres Lebens braucht es ein flächendeckendes ambulantes und stationäres Angebot, eine adäquate Finanzierung, aber auch gut ausgebildete Fachpersonen – und auch die gebührende Anerkennung.» Weichelt folgt als Präsidentin von palliative.ch auf Marina Carobbio Guscetti, die seit Anfang April Tessiner Staatsrätin ist.
«Ein Kinderhospiz ist nicht in erster Linie ein Ort der Sterbebegleitung»

Laut Nicola Presti von der Stiftung Kinderhospiz Schweiz ist die aktuelle Versorgungssituation in unserem Land für Kinder und Jugendliche mit einem palliativen Betreuungsbedarf weit entfernt von den Zielen der «Nationalen Strategie Palliative Care 2010». «Es stehen weder genügend Angebote der Palliative Care zur Verfügung, noch ist die Finanzierung von Angeboten nachhaltig gesichert», sagt sie gegenüber medinside.ch. Mehr als 5 000 Kinder und Jugendliche leben in der Schweiz mit einer lebensverkürzenden Erkrankung. Während es in Europa 133 Kinderhospize gibt – 20 davon allein in Deutschland – fehlt in der Schweiz ein solches Angebot. Einen Grund dafür sieht Nicola Presti auch in der mangelnden Akzeptanz von Kinderhospizen: Diese hätten als stationäre Einrichtungen einen hohen Erklärungsbedarf, und die Einbettung in die Spital- und Pflegelandschaft werde häufig in Frage gestellt. So bestünde vielerorts das Missverständnis, dass es sich bei einem Kinderhospiz in erster Linie um einen Ort zur Sterbebegleitung handle. Gemäss Erfahrungen der Kinderhospize in Deutschland versterben jedoch nur etwa 3 Prozent dieser Kinder im Hospiz. Im Gegensatz zum Erwachsenenhospiz stehen vielmehr Angebote in Form von Übergangs- und Entlastungsbetreuung im Fokus.

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Sarah Benz arbeitet als Trauerbegleiterin, Bestatterin und Notfallseelsorgerin in Berlin. Als sie sich im Juli mit der Redaktorin des «Tages-Anzeigers» zum Interview rund um Trauer, Tod und Sterben trifft, spricht die 43-Jährige auch darüber, was Menschen brauchen, die einen geliebten Menschen verloren haben. «Sie brauchen Zeit. Luft zum Atmen. Gehe ich als Notfallseelsorgerin zum Erstgespräch zu Menschen nach Hause, muss in diesem Gespräch überhaupt nichts entschieden werden», erklärt sie. Man habe oft die Vorstellung, es werde sofort geplant, man müsse den Sarg oder die Urne aussuchen, die Musik, die Feier – aber das überfordere die Menschen. «Es geht erst mal einfach nur darum: Wie geht es euch? Was braucht ihr?» Eine Flut von Informationen kämen nach einem Todesfall auf die Hinterbliebenen zu, die könnten diese gar nicht verarbeiten. Deshalb möchte sie als Begleiterin den Trauernden zu Seite stehen. Aber wie kam es, dass sie sich schon ganz jung mit dem Tod beschäftigen wollte? «Ich bin in der Nähe eines Friedhofes gross geworden. Ich habe da gespielt, oft mit Leuten geredet, die ihre Gräber gepflegt haben, und gemerkt: Die wollen von ihren Toten erzählen. Später erfuhr ich selbst Verluste – und erlebte dabei, wie hilfreich es sein kann, Abschiedsprozesse zu gestalten. Als mein erster Freund im Hospiz starb, dachte ich: So kann man sterben? Das wusste ich nicht!» Sie sei sehr beeindruckt gewesen von den Palliativpflegekräften und deren Umgang mit Patienten und Zugehörigen. «Wie sie mit uns waren, wie sie sich kümmerten, wie immer jemand ansprechbar war und wir trotzdem unseren Raum hatten. Ich dachte: Davon will ich erzählen. Und das will ich auch machen.»
«Die Finanzierung der Palliative Care endlich auf eine solide Grundlage stellen»

Das Sterben verläuft selten so, wie man es plant oder wünscht. Und es stellt jene Prinzipien auf den Kopf, mit denen Familien und das Gesundheitswesen ihren Alten und Kranken begegnen. «Statt um Beschützen und Heilen, um Zusammenhalten und Weitermachen geht es plötzlich um das Gegenteil. Darum, loszulassen und ein würdevolles Ende zu finden», schreibt die NZZ unter der Rubrik «Meinung & Debatten». Einfach ist das nie. Doch in der Schweiz wird durch Bürokratie und eine lückenhafte medizinische Versorgung dieser Prozess noch erschwert. Die Palliative Care kämpfe auch Jahrzehnte nach ihrer Etablierung mit den verkrusteten Strukturen im Gesundheitswesen, stellt der Autor fest. Das sei schlecht für die Sterbenden und ihre Angehörigen, aber auch schlecht für das Gesundheitswesen. Denn laut einer Studie der Universität Bern liessen sich allein mit einer besseren ambulanten Palliativversorgung jährlich mindestens 150 Millionen Franken an Gesundheitskosten sparen. Es sei an der Zeit, dass der Bund diesen Missstand wirksam bekämpfe. «Nicht mit der Produktion von Konzepten und Strategiepapieren. Sondern indem er die Finanzierung der Palliative Care endlich auf eine solide Grundlage stellt.» Denn die Palliative Care ermöglicht eine Kombination, die es im Gesundheitswesen sonst selten gibt: Sie ist würdevoll, günstiger und näher an den Bedürfnissen der Patienten.
Im Artikel wird darauf hingewiesen, dass eine einheitliche Regelung und die Finanzierung für Palliative Care nicht in Sicht sind – und dies seit Jahren. «Das ist fast eine unendliche Geschichte.» Es gab zum Thema bereits fachliche Richtlinien (2006), eine nationale Strategie (2010), ein nationales Forschungsprojekt (2012 bis 2017), zwei Bevölkerungsbefragungen (2009 und 2017), ein Massnahmenpaket des Bundes (2020) und einen erfolgreichen Parlamentsvorstoss, der eine «angemessene Finanzierung» verlangte (2021). Und doch fehlt diese Finanzierung bis heute. Auf diese Weise bleibt die medizinische Versorgung am Lebensende lückenhaft. Das Fazit des Autors: «Es ist an der Zeit, der Palliative Care jenen Stellenwert zu geben, der ihr zusteht.»

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Die Sittener Palliativeinrichtung «Maison Azur» bietet schwer kranken und am Lebensende stehenden Patientinnen und Patienten eine friedliche Umgebung, die dem häuslichen Umfeld so nahe wie möglich kommt. In einem Haus im Grünen und mit freiem Blick auf die Berge finden Kranke und ihre Angehörigen einen Ort abseits des hektischen Alltages eines Spitals. Der von einer Stiftung angebotene Dienst ist aber nicht im Gesetz verankert, wie der «Walliser Bote» schreibt. Deshalb übernimmt die obligatorische Krankenversicherung maximal 120 Franken pro Pflegetag. Palliativbetten im Krankenhaus werden derweil vollumfänglich übernommen. Im Walliser Parlament ist zurzeit eine Änderung des Gesetzes zur Palliative Care hängig. Bis diese Änderung vollzogen ist, bezahlt der Kanton Wallis der Stiftung «Maison Azur» 635 Franken pro Pflegetag. Der Kanton Wallis ist indes schweizweit der einzige Kanton, welcher der Palliative Care diese Unterstützung zuspricht. Mit seinem Beitrag hilft er der Stiftung, einem ursprünglichen Ziel nachzukommen: Niemand, der möglicherweise in der «Maison Azur» aufgenommen werden könnte, soll aus finanziellen Gründen daran gehindert werden. Dank der Unterstützung des Staates bezahlen Patienten derzeit lediglich 15 Franken pro Pflegetag. Dies entspricht dem Spitalkostenbeitrag im Krankenhaus. Ein Hospiz im Oberwallis befindet sich derzeit in Bau. Die Eröffnung ist für April 2024 geplant. Dann werden in Ried-Brig vorerst zwei Betten angeboten. Der Kanton wird das Hospiz Oberwallis in gleicher Form wie die «Maison Azul» unterstützen.

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Und zum Schluss noch ein Blick über die Landesgrenze: Das Ringen um gesetzliche Regelungen zur Sterbehilfe in Deutschland geht weiter. Im Bundestag konnte Anfang Juli keiner der beiden zu diesem Thema vorgelegten Gesetzesentwürfe die erforderliche Mehrheit bei den Abgeordneten erzielen. Die beiden im Bundestag vorgelegten Entwürfe wollten im Betäubungsmittelgesetz festschreiben lassen, dass es legal ist, tödliche Medikamente für einen assistierten Suizid zu verschreiben. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach äusserte danach sein Bedauern, dass keiner der beiden Gesetzesentwürfe eine Mehrheit gefunden habe. So bleibe eine Rechtsunsicherheit beim Thema Sterbehilfe bestehen. Und es werde nun den Gerichten zufallen, offene Fragen bei diesem Thema zu klären. Ausdrücklich begrüsst wurde von Bundesgesundheitsminister das vom Bundestag befürwortete Gesetz zur Suizidprävention. Gleichzeitig setzen sich die Kirchen in Deutschland entschieden für wirksame Hilfenetzwerke von Hospizdiensten, Sozialstationen, Palliative Care, Trauerarbeit sowie von vielfältigen Formen von Beratung und Begleitung ein.

palliative zh+sh / Bettina Weissenbrunner