Thematisiert wird Palliative Care in den Schweizer Medien oft im Monat Juni. Dies im Vorfeld zur kantonalen Abstimmung in Schaffhausen. Für einen Artikel besucht eine Journalistin der Wochenzeitung «Schaffhauser AZ» das Hospiz Schönbühl. Und sie stellt fest: Es geht um Lebensqualität. Und das kann vieles heissen: Zum Beispiel ein Gläschen Alkohol zu trinken oder eine Zigarre zu rauchen. Torte essen, auch wenn man hohen Blutzucker hat. «Halt einfach das tun, was einen gluschtet – und nichts müssen», sagt Pflegefachfrau Karin Strickler. Nichts müssen – das klingt gut. Aber macht es die Patientinnen und Patienten im Hospiz nicht wütend oder verzweifelt, mit der Endgültigkeit konfrontiert zu werden? «Die meisten Patienten, die herkommen, haben eine jahrelange Krankengeschichte», sagt Karin Strickler. Oft sei viel gelitten worden. Natürlich gebe es auch solche, die hadern und das Schicksal nur schwer annehmen können. Sie hätten eine Mutter bei sich im Hospiz gehabt, deren Kinder noch klein waren. «Sie sagte, ihr sei alles klar – aber sie glaube trotzdem an Wunder. Hoffnung muss man nicht zerstören. Hoffnung kann parallel zur Realität laufen.»
Im Hospiz gibt es keine fixen Abläufe. Wichtig ist das, was man für wichtig erklärt. Die Patientin muss auch nicht essen und trinken, wenn sie nicht möchte. Dann lindern die Pflegefachfrauen das Durstgefühl über die Mundschleimhaut. «Sorbet gluschtet die Leute oft bis zuletzt», sagt Karin Strickler. «Oder Rotwein-Eiswürfel.» Je nachdem, was zur Biografie passe. Dadurch, dass im Hospiz die Dauertherapie aufhöre, gehe es den meisten Patienten noch einmal besser, viel Druck falle ab. Das Gleiche gelte für die Angehörigen. Diese haben die Patienten und Patientinnen oft über Jahre hinweg zu Arztterminen begleitet, geschaut, dass sie richtig essen, haben sie aufs WC gebracht. Im Hospiz können sie wieder Ehemann oder Tochter sein und einfach am Bett sitzen.
«Mein Ziel ist es, Traktor zu fahren»
Jürg Stamm hat Lungenkrebs und befindet sich im Seniorenzentrum in Thayngen. Er möchte aber bald nach Hause. Pflegefachfrau Lea Tanner betreut ihn. Sie ist die Leiterin der Spitalexternen Onkologie- und Palliativpflege der Krebsliga Schaffhausen (SEOP palliative). Die SEOP ist ein Rund-um-die-Uhr-Betrieb mit 340 Stellenprozenten und knapp 200 Patientinnen und Patienten im Jahr. Sieben Frauen betreuen die Schwerstkranken zu Hause - meist in Zusammenarbeit mit der Spitex - oder im Heim, wo sie das Personal unterstützen. Die «Schaffhauser Nachrichten» begleiten Lea Tanner, als diese bei Jürg Stamm auf Besuch geht. Ende März bekam er die Diagnose Lungenkrebs. Vor Kurzem ist er für die Zeit während der Chemotherapie ins Seniorenzentrum gekommen. Er hat den Wunsch, wieder nach Hause zu gehen. «Mein Ziel ist es, Traktor zu fahren», sagt er mit heiserer Stimme. Erst letztes Jahr wurde Stamm pensioniert und hat sich einen Traktor gekauft. «Seither bin ich aber keinen Meter damit gefahren.»
Nachdem sich die Besucherinnen von Herrn Stamm verabschiedet haben, berichtet Lea Tanner der Journalistin von ihrer Arbeit. Und sie erinnert auch an die Abstimmung im Kanton Schaffhausen vom 18. Juni, an welcher es um den Kredit zur Weiterführung der palliativen Spezialangebotes geht. Lea Tanner versteht, dass Menschen, die nicht müssen, sich nicht mit dem Tod auseinandersetzen möchten. Auch bei ihr persönlich greifen ihre Berufserfahrungen weniger gut, wenn es um ihre eigenen Angehörigen gehe. «Doch ob man will oder nicht, das Thema Tod holt einen irgendwann ein. Deshalb wäre es gesünder für die Gesellschaft, wenn man ihn mehr thematisiert.»
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Auch die Serie Jobwelten der «Schaffhauser Nachrichten» widmet sich unter anderem dem Thema Sterben. In der Artikelserie taucht man in besondere Berufe ein: Anfang Juni in denjenigen von Spitex-Mitarbeiterin Regula Salathé, die Sterbende auf ihrem letzten Weg begleitet. Im Interview berichtet sie offen über ihre Arbeit, die so prall gefüllt ist mit Emotionen und Schicksalen. Was macht es mit ihr, dass sie häufig mit dem Tod in Kontakt kommt? Mit dem Tod konfrontiert zu sein, zeige ihr die Endlichkeit des Seins auf. Dass das Sterben zum Tod gehört. Deshalb mache sie diese Konfrontation nicht traurig, sondern dankbar für das, was sie habe. Doch das Schicksal ihrer Patienten berührt sie emotional: «Vor allem wenn ich die Not der Angehörigen erlebe, die diese Situation aushalten müssen.» Die Begleitung von Sterbenden sei aber der Bereich, den sie in der Pflege am liebsten habe, sagt Regula Salathé. «Mir persönlich ist es ganz wichtig, dass wir als Gesellschaft wieder lernen, mit dem Tod umzugehen. Früher war dies selbstverständlich und jeder war in seinem Umfeld mit dem Tod konfrontiert. Heute sind wir in der Medizin hochspezialisiert und haben das Sterben in einem gewissen Sinn delegiert.» Als Gesellschaft sollten wir uns diesem Thema jedoch nicht verweigern, sagt die Pflegefachfrau. «Genauso wie wir erste Hilfe lernen müssen, sollten wir uns auch um Kompetenz im Bereich letzte Hilfe bemühen.»
«87,2 Prozent sagten ja zur Palliativversorgung»
Am 18. Juni sagten dann die Schaffhauserinnen und Schaffhauser deutlich ja zur definitiven Einführung der drei Palliative Care Dienste. Der
Ja-Stimmenanteil betrug beeindruckende 87,2 Prozent. Mit dem Kredit vom maximal 960'000 Franken jährlich wird die langfristige Finanzierung der drei spezialisierten Dienste gesichert. Zum einen handelt es sich dabei um einen spezialisierten mobilen Palliative Care Dienst. Dieser unterstützt die Grundversorger wie Hausärztinnen oder Pflegepersonal sowie pflegende Angehörige mit seinem Fachwissen. Ein zweiter Teil der Spezialversorgung übernimmt das Hospiz als spezialisierte Station im Alters- und Pflegeheim Schönbühl, welche über die Infrastruktur verfügt, um schwierige Pflegesituationen kompetent zu bewältigen. Im Gegensatz zum eher hektischen Alltag im Akutspital bietet das Hospiz eine ruhige Atmosphäre, die Geborgenheit für die Schwerkranken und deren Angehörige vermittelt. Und schliesslich wird nun auch die Koordinationsstelle von palliative-schaffhausen finanziell unterstützt, welche für eine bestmögliche Zusammenarbeit und Vernetzung der einzelnen Leistungserbringer sorgen soll.
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Auch das Zürcher Lighthouse macht im Juni Schlagzeilen: An die offizielle Einweihung des neuen Gebäudes an der Eglistrasse kam viel Prominenz und eine beachtliche Schar Medienschaffende.
Bundesrätin Karin Keller-Sutter sprach die Laudatio und enthüllte die Skulptur im Foyer. Grussworte des Kantons überbrachte Regierungsrätin Natalie Rickli, jene der Stadt Zürich die Stadtpräsidentin Corine Mauch. Laut Corine Mauch widerspiegelt das Lighthouse die Stadt Zürich: «Hier wird niemand ausgeschlossen, hier gehören alle dazu.»
Das Palliativzentrum ist vor 100 Tagen vom Zürichberg ins Hardquartier gezogen und kann nun deutlich mehr Menschen betreuen
(siehe auch unseren Artikel auf pallnetz.ch). Wie am alten Standort im Quartier Hottingen gibt es 14 Plätze für spezialisierte Palliativ-Langzeitpflege. Neu kommen 14 Plätze für jüngere Patientinnen und Patienten hinzu. Und: Am 1. Juli hat ein Tageszentrum mit bis zu zehn Plätzen für chronisch oder unheilbar Kranke gestartet. Bundesrätin Karin Keller-Sutter lobte denn auch das Lighthouse als eine «aussergewöhnliche Einrichtung». Deshalb sei sie gerne an die Einweihung des neuen Kompetenzzentrums gekommen. «Ich wurde in den Achtzigerjahren politisiert. Zu dieser Zeit war die Krankheit Aids noch nicht beherrschbar.» Und sie erinnerte an die Bundesverfassung und den Absatz «Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen». Das gelte besonders, wenn der Mensch verletzlich sei. «Und kann man verletzlicher sein als in den letzten Tagen und Wochen vor dem Sterben?», fragte die Bundesrätin.
«Im Spital fehlt die Geborgenheit, daheim die medizinische Sicherheit»
In der Schweiz leben bis zu 10 000 Kinder mit lebensverkürzenden Krankheiten. Welche Unterstützung das Allani Kinderhospiz bieten kann, sagt Geschäftsführer André Glauser in einem Interview mit der «Schweizer Familie». Auf die Frage, weshalb es in Europa 130 Kinderhospize gebe und in der Schweiz kein einziges, meint André Glauser: «Unsere Spitalversorgung und die Kinderspitex sind sehr gut. Viele Entscheidungsträger denken, das reiche aus.» Doch zwischen der Versorgung im Spital und jener zu Hause klaffe eine Lücke. «Im Spital fehlt die Geborgenheit, daheim die medizinische Sicherheit.» Diese Lücke möchte man mit dem Allani Kinderhospiz schliessen, das 2024 offiziell eröffnet wird. Dort wird es Platz für acht Kinder geben, die an einer lebensverkürzenden Krankheit leiden, und für ihre Familien. «Den Kindern wollen wir eine schöne Zeit und professionelle Pflege bieten, den Eltern eine Entlastung, damit sie sich etwas Gutes tun können», so Glauser. In Testwochenenden habe man das Konzept erprobt und die Rückmeldungen seien durchwegs positiv gewesen. «Eine Familie sagte, die zwei Tage hätten sich wie eine Woche Ferien angefühlt. Viele Eltern schätzen auch den Austausch mit anderen Betroffenen. Mich hat berührt, wie sie ihr Schicksal annehmen und dass die Stimmung trotz all der Schwere fröhlich war.» Da in den Kantonen Zürich und Basel weitere Kinderhospize geplant sind, blickt der Allani-Geschäftsführer positiv in die Zukunft. Er sei froh, dass es nicht bloss ihr Projekt in Bern gebe. Mit drei Kinderhospizen könne man vielen Familien helfen. Aber es werde weiterhin auch die stationäre Versorgung in den Kinderspitälern brauchen und die Unterstützung der Kinderspitex.
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«Wie pflege ich Angehörige zu Hause?», fragt der «Blick» Anfang Juni und gibt in einem interessanten und informativen Artikel Antworten auf wichtige Fragen. Denn vor der Entscheidung, Angehörige zuhause zu pflegen, müssen sich die Involvierten zahlreiche Fragen stellen. Marianne Pfister, Co-Geschäftsführerin von Spitex Schweiz, erklärt, wie man diese Aufgabe schaffen kann, welcher Faktoren man sich bewusst sein muss und wo man sich emotionale und finanzielle Unterstützung holen kann. «Zuerst muss man sich überlegen, ob man es zeitlich und emotional stemmen kann», sagt Marianne Pfister. Dabei gilt es zu beachten, ob es eine schwere oder leichte Erkrankung ist, ob eine längerfristige Pflege nötig ist und ob man eventuell den eigenen Job reduzieren muss. Man sollte aber auch abwägen, ob ein professioneller Dienst sinnvoller sein kann. Wolle man den Angehörigen selbst betreuen, dann sei es wichtig, sich rechtzeitig Unterstützung zu holen. «Keine Person sollte 24 Stunden lang Ansprechpartner sein.» Die Co-Geschäftsführerin von Spitex Schweiz betont, dass professionelle Fachpersonen pflegende Angehörige entlasten können – gerade bei Palliative Care. Die Selbstfürsorge dürfe auf keinen Fall vergessen gehen: «Man muss sich immer bewusst sein, dass die Pflege eine sehr anspruchsvolle Arbeit ist.»
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Die Entscheidung für eine Palliativtherapie bedeutet nicht, dass nun das Leben zu Ende geht. Palliativmedizin wird aber häufig im allgemeinen Sprachgebrauch als «Behandlung in den letzten Lebenswochen» verstanden. «Tele Basel» begleitete die stellvertretende Chefärztin Karin Jaroslawski einen Tag lang im Palliativzentrum Hildegard und zeigt in seinem Beitrag, was dort während eines Tages alles passiert. In einem zweiten Teil, dem «diagnose-talk», erhalten die Zuschauerinnen und Zuschauer von der stellvertretenden Chefärztin Dr. med. Karin Jaroslawski einen Einblick in die Palliativmedizin. Ausserdem erzählt die 18-jährige Joanne Frey, weshalb sie ihre Maturarbeit dem Thema Palliativmedizin widmet und darüber, wie sie selbst die Institution erlebt hat.
«KOGE ist nun eine eigenständige Fachstelle des Kantons»
Nach einem vierjährigen Versuchsbetrieb wird im Kanton Glarus die Koordinationsstelle Gesundheit (KOGE) als eigenständige Fachstelle innerhalb der kantonalen Verwaltung weitergeführt. Die KOGE steht der Glarner Bevölkerung als Anlaufstelle für alle Fragen rund um Gesundheit zur Verfügung, informiert und gibt Auskunft über Angebote im Bereich Gesundheit, Pflege und Betreuung sowie Palliative Care. Zudem klärt die Fachstelle den Unterstützungsbedarf von Betroffenen und Angehörigen ab, berät sie und vermittelt an Leistungserbringer. Darüber hinaus bietet das Team Unterstützung im Case Management bei komplexen ambulanten Situationen an.
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Opioide verschlechtern die Lebensqualität von Menschen mit schwerer Herzinsuffizienz: Für die Palliativmedizin ist diese Erkenntnis bahnbrechend – in der Kardiologie wusste man das schon. Ärztinnen und Ärzte beider Disziplinen müssten endlich enger zusammenarbeiten, fordern Palliativmediziner Jan Gärtner und Kardiologe Otmar Pfister im Interview mit der «Schweizerische Ärztezeitung». Eine Metaanalyse zeigte kürzlich auf: Bei Erkrankten mit Herzinsuffizienz bringen Opiate keine signifikante Erleichterung der Atemnot. Die Lebensqualität kann dadurch sogar verschlechtert werden. Die Analyse wurde von Prof. Dr. med. Jan Gärtner, Klinikleiter des Palliativzentrums Hildegard in Basel, veröffentlicht. Heisst das nun, dass in solchen Fällen dem Palliativpatienten keine Opioide verabreicht werden? «Die Praxis muss hinterfragt werden», sagt Jan Gärner im Interview. «In der Palliativmedizin ist es Lehrbuchwissen, dass unabhängig von der Grunderkrankung bei Atemnot Opioide gegeben werden.» Besser sollten sich die Palliativmediziner auf evidenzbasierte Daten verlassen und auf das Wissen der Kardiologen, die diese Patienten schwerpunktmässig betreuten. Verbannt werden müssten die Opioide nicht, aber es komme auf das Stadium der Herzerkrankung an. Einig sind sich Palliativmediziner Jan Gärtner und Kardiologe Otmar Pfister darin, dass Palliativmedizin und Kardiologie besser kommunizieren und Behandlungsoptionen aufeinander abstimmen sollten. «Für eine frühe Palliativversorgung könnten wir mit der Kardiologie Konzepte entwickeln», sagt Jan Gärtner. In bestimmten kardiologischen Krankheitsstadien könnte eine Kennenlernvisite mit dem Palliativteam als «Spezialisten für Lebensqualität» stattfinden. «Das Team sollte dabei als Ergänzung und nicht als Gegenmodell zum fallführenden Team der Kardiologie vorgestellt werden.»
«Die Abschiede hängten immer mehr an»
Die Gründerin und heutige Stiftungsratspräsidentin des Hospiz im Park, Vreni Grether, wurde kürzlich 80 Jahre alt. Sie blickt in einem Bericht des «Wochenblatt» nachdenklich, aber auch mit viel Befriedigung auf ihr Lebenswerk zurück. 1996 eröffnete das Hospiz im Park in Arlesheim und galt als neuartige Klinik in der Spitallandschaft. Hausärzte in der Region hielten ein Hospiz für unnötig, da sie ja selber Patientinnen und Patienten in den Tod begleiten würden. So musste Vreni Grether in den ersten Betriebsjahren des Hospiz um Akzeptanz kämpfen – und das gleich an verschiedenen Fronten. Vom Baselbieter Regierungsrat wurde das Hospiz als Pflegeheim und nicht als Spital eingestuft, was finanzielle Folgen hatte. Als dann später die Unternehmensform eines Spitals Tatsache war, wollten die Krankenkassen dies nicht akzeptieren. Erst Bundesrätin Ruth Dreifuss (SP) habe dafür gesorgt, dass das Hospiz im Park und die Palliative Care im Allgemeinen die national notwendige Akzeptanz erreichten.
Vreni Grether zählt zu den Pionierinnen der Palliative Care. Sie war eine treibende Kraft. Und sie hatte die Fähigkeit, sich die richtigen Leute an ihre Seite zu holen. Denn Grether hatte weder eine medizinische noch eine pflegerische oder soziale Ausbildung. Ihre Bereitschaft und Hartnäckigkeit, ein Spital speziell für Menschen im letzten Lebensabschnitt zu erstellen, sind aber derart gross gewesen, dass sie sämtliche Herausforderungen meistern und Widerstände durchbrechen konnte. In den vergangenen drei Jahren zog sich Vreni Grether aus dem operativen Bereich mehr und mehr zurück. Die Distanz habe sie auch gebraucht, gibt die 80-Jährige zu bedenken. Die Summe an Schicksalen setzte ihr psychisch zu. «Die Abschiede hängten immer mehr an.» Neue Hoffnung und positive Eindrücke hätten ihr ihre fünf Enkel gegeben. «Sie zeigen mir, dass es auch neues Leben gibt und das Leben weitergeht.»