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Mein Lebensende planen, geht das überhaupt?

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Der Spagat, medizinische Laien und Fachpersonen mit der Tagung zu gesundheitlicher Vorausplanung anzusprechen, ist gelungen. (Bilder: Krebsliga Zürich)

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09. November 2019 / Region
Wie will ich sterben und zuvor behandelt werden? Mit solch schwierigen Fragen konfrontierten sich die Teilnehmenden einer Tagung zur Patientenverfügung «plus».
An einer Tagung in der Alten Anatomie, dem Forum für Medizin & Gesellschaft am Universitätsspital Zürich (USZ), haben am Donnerstag, 7. November, 120 Personen teilgenommen. Das USZ, die Paulus Akademie, die Krebsliga Zürich und wir von palliative zh+sh hatten die Veranstaltung ins Leben gerufen, um die komplexe Materie der Patientenverfügung «plus» (PV+) einfach zu erklären. Moderiert wurde die Tagung von Susanne Brauer, Programmleiterin der Alten Anatomie. Die Veranstalterinnen mussten zudem den Spagat zwischen zwei Zielgruppen meistern. Sie hatten sowohl Personen angesprochen, die an einer solchen Verfügung interessiert sind, als auch Gesundheitsfachpersonen, die eine solche auslegen müssen. Es gelang offenbar, die Anwesenden für die gesundheitliche Vorausplanung für jede Lebenslage zu motivieren. Denn in einer Umfrage zum Schluss, erklärte die Hälfte, sie sei motiviert, eine PV+ zu erstellen. Die andere Hälfte sagte, sie sei «vielleicht» bereit, dies zu tun.

Den Boden für die Diskussionen hatte zu Beginn Regina Aebi-Müller, Rechtsprofessorin aus Luzern, gelegt. Seit das neue Erwachsenenschutzrecht gelte, stehe die Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten im Zentrum, sagte sie. «Weil die meisten von uns kein medizinisches Wissen haben, müssen die Ärztinnen und Ärzte uns über über Behandlungsmöglichkeiten, die Folgen von Nichtbehandlung, mögliche Nebenwirkungen und eine Langzeitprognose aufklären.» Neben der Aufklärung ist die Urteilsfähigkeit eine weitere Grundlage für die Patientenautonomie: Viele Menschen, die schwer krank sind, sind nicht mehr urteilsfähig, das zeigt eine Studie aus Grossbritannien. Laut dieser gelten 40 Prozent der hospitalisierten Menschen als urteilsunfähig.
«Ich muss Sie davor warnen, eine Patientenverfügung im stillen Kämmerchen auszufüllen.»
Regina Aebi-Müller, Professorin für Privatrecht, Universität Luzern

Für den Fall, dass wir bei einem Unfall oder einer schweren Krankheit unsere Urteilsfähigkeit verlieren, und damit wir trotzdem unseren Wünschen gemäss medizinisch behandelt werden, können wir vorsorgen: Wir setzen eine Patientenverfügung (PV) auf und/oder bestimmen eine Person, die unseren Willen dann vertritt. Aebi-Müller erklärte, dass es an sich ganz einfach ist, eine PV zu erstellen. Dazu ist nur ein Dokument nötig mit Datum und Unterschrift. In der Schweiz gilt keine Beratungspflicht. Etliche Institutionen von der Pro Senectute über das Rote Kreuz bis zur Ärzteorganisation FMH bieten Vorlagen an, die man meist nur noch mit Kreuzen versehen muss.

Die Rechtsprofessorin riet jedoch zur Vorsicht mit diesen PV, die so verlockend leicht aus dem Internet herunterzuladen sind. «Ich muss Sie davor warnen, eine solche im stillen Kämmerchen auszufüllen.» Die PV müsse nämlich zum Beispiel möglichst konkret sein. Formuliert ein Patient seine Behandlungswünsche unklar, ist es für den Arzt schwierig, den Patientenwillen herauszulesen. Es hilft dem Arzt zum Beispiel zu wissen, vor welchem Informationshintergrund jemand eine PV ausgefüllt hat: Hat er in der Familie etwas Abschreckendes erlebt oder hat er sich zuvor in einer Arzt-Serie informiert?
«Wir sprechen meist zu spät oder in nicht angemessener Form darüber, was uns in Bezug auf die Grenzen medizinischer Behandlung wirklich wichtig ist.»
Tanja Krones, leitende Ärztin Klinische Ethik USZ

Aebi-Müllers Nachrednerin, Tanja Krones, leitet die klinische Ethik am Universitätsspital Zürich (USZ). Sie hakte bei diesem Problem ein. «Werden PV alleine ausgefüllt, uninformiert, führt das oft zu Widersprüchen.» Sie zeigte Beispiele, in denen Patientinnen und Patienten einerseits festhielten, sie wollten bei schwerer Krankheit mit geringen Heilungschancen nur noch palliativmedizinisch behandelt werden, gleichzeitig aber ankreuzten, bei einem Herzstillstand seien sie wiederzubeleben.

Das zweite Problem ist laut Krones, dass wir meist zu spät oder in nicht angemessener Form darüber sprechen, was uns in Bezug auf die Grenzen medizinischer Behandlung wirklich wichtig ist. Und als drittes Problem ortete sie, dass eine «koordinierte regionale Implementierung» fehlt. Das heisst, auch wenn an sich eine gute PV vorhanden ist, nützt sie nichts, wenn das medizinische Personal nichts von ihr weiss oder sie nicht interpretieren kann. Abhilfe würden zum Beispiel eine einheitliche Vorlage und die Speicherung in einem elektronischen Patientendossier verschaffen.

Krones ist mit einer Projektgruppe, zu der auch palliative zh+sh gehört, daran, Advance Care Planning (ACP) in der Schweiz zu verankern. ACP ist ein Instrument zur Planung von medizinischer Behandlung in Situationen, in welchen man nicht mehr urteilsfähig ist. Sein Ziel ist es, die «informierte Zustimmung» der Patientin zu erreichen und mit ihr Therapieziele zu definieren. ACP habe sich bereits bewährt, werde weltweit angewendet und sei wissenschaftlich fundiert, betonte Krones.
Viele wissen zum Beispiel nicht, dass nur weniger als drei Prozent der Menschen, die ausserhalb eines Spitals reanimiert werden, auch überleben.

Isabelle Karzig-Roduner ist Notfall-Expertin, ACP-Beraterin und -Dozentin und gehört ebenfalls zum Projektteam. Sie führte in ihrem Vortrag aus, wie in einem Beratungsgespräch Therapieziele definiert und in der PV+ festgehalten würden. Um die Werte, Wünsche und Vorstellung eines Menschen herauszufinden, dienen Standortfragen wie «Wie gerne leben Sie? Wie wichtig ist es Ihnen, morgen noch zu leben? Wenn Sie ans Sterben denken, was kommt Ihnen dann in den Sinn?»

Vorausgeplant wird für folgende Szenarien: Erstens für die plötzliche Urteilsunfähigkeit in einem Notfall, zweitens für eine länger andauernde Urteilsunfähigkeit während einer Spitalbehandlung oder einer schweren Krankheit, drittens für die bleibende Urteilsunfähigkeit wegen einer fortgeschrittenen Demenzerkrankung oder einer schweren Hirnschädigung. Entscheidungsgrundlagen helfen, ein Therapieziel zu wählen. Viele wissen zum Beispiel nicht, dass nur weniger als drei Prozent der Menschen, die ausserhalb eines Spitals reanimiert werden, auch überleben. Innerhalb des Spitals liegt der Wert übrigens bei fünf Prozent.

In der Diskussion mit dem Publikum zeigte sich, dass es einfacher ist, eine PV+ zu erstellen, wenn durch eine Diagnose oder eine bevorstehende Operation die Urteilsunfähigkeit in mögliche Nähe rückt. Ist man noch jung und gesund, fällt es vielen schwierig, sich in die Szenarien einzufühlen. Zudem kann sich die persönliche Einstellung mit fortschreitender Krankheit auch ändern. Eine PV+ muss deswegen laufend aktualisiert werden.

Ein klares, unmissverständliches Dokument

Rolf Huck von der Krebsliga sowie Monika Obrist von palliative zh+sh bieten bereits seit längerer Zeit ACP-Beratungen an. Im Gespräch mit Anna Gerber, der Fachspezialistin für Bildung bei der Krebsliga Schweiz, berichteten sie von ihren Erfahrungen. Dabei stand im Vordergrund, wie wichtig es ist, genügend Zeit zu haben, auf die individuellen Situationen, Wünsche und Bedürfnisse einzugehen und diese ganz klar und unmissverständlich zu dokumentieren. Auch die Dankbarkeit der Menschen, die sie beraten, kam zur Sprache. Alle sind froh, wenn sie nach dem Beratungsprozess ein Dokument in Händen haben, das sicherstellt, dass ihre Behandlungswünsche klar und unmissverständlich dokumentiert sind.

Magdalena Maria Berkhoffs Referat zielte auf eine persönlichere, eine psychologische und philosophische Ebene ab. Sie ist ärztliche Leiterin des Zentrums für Psychoonkologie und ambulante Onko-Reha bei der Krebsliga Zürich und stellte in Frage, ob es überhaupt möglich ist, sein Lebensende zu planen. Sie berichtete von der im Spätmittelalter verbreiteten «Ars Moriendi», der Kunst des guten Sterbens also, die in die «Ars Vivendi», in die Daseinsbewältigung, integriert werden sollte. «Im Idealfall ist das Sterben Teil der Lebenskunst. Ich muss zu Lebzeiten lernen, die Dinge des Lebens wieder loslassen.»

Damit dies gelingen könnte präsentierte sie verschieden therapeutische Ansätze wie die Logotherapie oder die Existenzanalyse sowie eine Praxis, die am USZ vermittelt wird, die sogenannte Mind Body Medicine, in der es verkürzt gesagt, um Achtsamkeit geht. Berkhoff streifte auch den Bestseller «Fünf Dinge, die Sterbende am meisten bereuen» der australischen Palliativpflegefachfrau Bronnie Ware.
«Im Sterben müssen wir alles loslassen. Das ist uns allen gemeinsam. Je mehr man das hat erleben können, desto besser.»
Magdalena Maria Berkhoff, Psychoonkologin Krebsliga Zürich

Die Angst vor dem Tod, der existenzielle Terror, erschwere die Planung des Lebensendes zusätzlich, sagte Berkhoff. Schutzmechanismen oder Sinngebung können diese Angst etwas mildern. Spiritualität und Religion übten ausserdem eine wichtige Funktion aus. «Pflege die Kräfte deines Gemüts, damit es dich schützen kann, wenn Unglück dich trifft», zitierte sie ein Gedicht, das vermutlich aus dem 16. Jahrhundert stammt.

Als Berkhoff von einer Teilnehmerin gefragt wurde, was ihr persönlich am sinnvollsten erscheine, um sich auf den Tod vorzubereiten sagte sie: «Im Sterben müssen wir alles loslassen. Das ist uns allen gemeinsam. Je mehr man das hat erleben können, desto besser. Unter anderem durch Meditation kann man erfahren, wie gross das uns Umgebende ist. Es ist sehr, sehr viel grösser als wir selbst.»
palliative zh+sh, Sabine Arnold