«Palliative Geriatrie richtet sich an alte Menschen in vulnerablen Lebenssituationen», sagt Roland Kunz. «Sie sucht die Balance zwischen Symptomlinderung und Funktionserhalt, zwischen Leben können und doch sterben dürfen». Die FGPG vereint Personen und Institutionen in Deutschland, Österreich, Luxemburg, im Südtirol und in der Schweiz. Ziel aller Beteiligten ist die Etablierung und nachhaltige Umsetzung von palliativer Geriatrie in diesen Ländern mit ihren unterschiedlich ausgeprägten Versorgungssettings. Mit dem nun vorliegenden Grundsatzpapier unterstreicht die FGPG ihr Engagement. Auch wenn die palliative Geriatrie noch nicht ausreichend in der Praxis angekommen sei, so habe sich schon viel bewegt, und «die Menschen in der Altenhilfe sind auf gutem Weg, wir wollen sie weiterhin ermutigen!».
Ziele: Teilhabe, Respekt und Wertschätzung
Palliative Geriatrie wolle die Selbstbestimmung alter Menschen stärken und ihnen ermöglichen, «das zu sein und zu tun, was sie für wertvoll halten» (WHO 2015, Seite 28). Ein wesentliches Ziel sei es, die soziale Teilhabe zu fördern und zu versuchen auch Menschen, die sich verletzt und enttäuscht weitgehend in ihr Inneres zurückgezogen haben, zurück «ins Leben zu verlocken». Palliative Geriatrie respektiere die Individualität hochbetagter Menschen, presse sie nicht in ein (Versorgungs-)Schema und bringe ihrer individuellen Lebensbiographie ausdrückliche Wertschätzung entgegen. Als Zielgruppe sind im Grundsatzpapier hochbetagte Menschen mit und ohne Demenz sowie deren Angehörige und Nahestehende genannt.
Zu verstehen und verstanden zu werden sei ein Grundbedürfnis eines jeden Menschen und eine wesentliche Voraussetzung für Selbstachtung und Wohlbefinden. Daher seien Kommunikation und Beziehungsarbeit Kernkompetenzen; hinzu kommen adäquate pflegerische medizinische und therapeutische Versorgung. Die Kommunikation mit Menschen mit Demenz sei besonders wichtig. Menschen mit Demenz kommunizierten zum grossen Teil über ihren Körper und ihr Verhalten.
«Von jetzt an muss ich „bis zuletzt“ denken.»
Aus dem Grundsatzpapier
Palliative Geriatrie sei eine Lebensbegleitung bis zuletzt. Sie beginne frühzeitig, nämlich dann, wenn chronische Beschwerden, zunehmende Hilflosigkeit und psychische Nöte den Bedarf nach Care erhöhen. Sie beginne ab dem Zeitpunkt, an dem mehrere Menschen (Profis, Familie und/oder Ehrenamtliche) vor der Frage stünden: «Wie kann es jetzt weitergehen?». Und sie fange dann an, wenn der alte Mensch sich in einer Krise der Begrenztheit seiner Lebenserwartung bewusst werde. Ein solcher Moment könne zum Bespiel der Einzug ins Pflegeheim sein, in dem klar werde: «Von jetzt an muss ich „bis zuletzt“ denken.»
Das Lebensende respektieren
Im Alter nimmt die Wahrscheinlichkeit des Sterbens zu. Alte Menschen hätten oft weniger Angst vor dem Tod als vor der Zeit bis dahin, ist im Grundsatzpapier festgehalten. Palliative Geriatrie stelle sich gemeinsam mit Betroffenen der Auseinandersetzung mit Sterben und Tod. Sie anerkenne, dass Sterben für alte Menschen eine erwünschte Perspektive sei und etwas Heilsames haben könne. «Wir akzeptieren das Lebensende, sind bereit, Sterben zuzulassen und nicht unnötig zu verlängern. Wir unterstützen Lebensqualität bis zuletzt», schreiben die Autoren. Und weiter: Die «sprechende» und «hörende» Medizin und Pflege nehme sich Zeit für die Bedürfnisse der alten Menschen. Die medizinische Betreuung sei problem-basiert und nicht diagnose-basiert. Der Pflegeprozess orientiere sich an Lebensqualität.
In einer Zeit, in der wirtschaftliche Überlegungen häufig für bedeutsamer gehalten würden, als das Wohl von Personen, sei palliative Geriatrie aufgerufen, für die Rechte vulnerabler hochbetagter Menschen auf ein gutes Leben bis zuletzt einzutreten und die angemessene Würdigung und Entlohnung aller in der Altershilfe Tätigen einzufordern. Die Verfasser benennen die politische Relevanz der palliativen Geriatrie. Letztere fordert Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, angemessen für alte Menschen und deren Nahestehende zu sorgen – allen voran ausreichend Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Einrichtungen der Altershilfe. Alte und sterbende Menschen seien ein wesentlicher Teil unserer Gesellschaft: «Sie haben ein Recht auf Teilhabe am sozialen Leben.» Palliative Geriatrie unterstütze und fördere daher ein soziales Umfeld, das für alte Menschen sorge. Dazu brauche es die Bereitschaft der Gesellschaft und eine grosse gemeinschaftliche Anstrengung.
Interprofessionalität als Grundkonsens
Interprofessionalität sei Grundkonsens in der Versorgung und Begleitung alter Menschen. Alte, von Multimorbidität betroffene Menschen bräuchten individuelle Begleitung sowie gute Pflege und Medizin. Ärztinnen und Ärzte seien aber oft nur kurz bei den alten Menschen, Pflegende und Betreuende hingegen verbrächten mehr Zeit bei und mit ihnen, sind sich die Autorinnen und Autoren bewusst. Ehrenamtliche seien mitunter sogar noch länger im Kontakt. Ziel sei es daher, dass das interprofessionelle Team in einer Sprache und auf Augenhöhe miteinander spreche.
Den Abschluss des Grundsatzpapiers «Palliative Geriatrie» bilden die Themen «kultureller Kontext», «ethische Reflexion» und «Palliative Geriatrie setzt sich für Sorgende ein». Denn nur dann, wenn es den Pflegenden und den Betreuenden gut gehe, könne es alten Menschen in deren Obhut gut gehen.
«Wir werden das Thema „Palliative Geriatrie“ am Symposium vom 14. März 2019 im Stadtspital Waid aufnehmen», kündigt Roland Kunz an.