Medizinische Behandlungen, die bei Patienten am Lebensende anfallen, können sehr teuer sein. Gerade die Preise für neue Medikamente gegen Krebs sind zum Teil exorbitant hoch; einige kosten bis zu 100 000 Franken pro Jahr. Da die Bevölkerung bereits über steigende Krankenkassenprämien stöhnt, lösen Berichte über solch kostspielige Behandlungen Unbehagen aus. Das führt zur Frage, wo die Grenzen des Wünsch- und Machbaren liegen.
Gesundheitsökonomen der Universität Zürich, des CSS Forschungsinstituts sowie des Beratungsunternehmens Polynomics sind dieser Frage auf den Grund gegangen. Sie stellten ihre Resultate an der Dialogveranstaltung des NFP 67 vom 19. September in Bern vor. Die Fragestellungen, die sie leiteten, waren:
- Gibt es typische Kostenverläufe in den letzten zwölf Monaten des Lebens?
- Wie hoch ist die Zahlungsbereitschaft der Schweizer Bevölkerung für medizinische Leistungen am Ende des Lebens?
Die Wissenschaftler arbeiteten mit Grundversicherungs-Daten von 1,3 Millionen Personen jeglichen Alters, die im Jahr 2010 anfielen. Von den Versicherten waren 84 Prozent 65 Jahre alt oder jünger und 16 Prozent 66 Jahre alt oder älter. 1,8 Prozent von ihnen erhielt Medikamente gegen Krebs und 0,8 Prozent verstarben im untersuchten Jahr.
Objektive Kriterien, wie viel eine Krankheit am Lebensende kosten darf, existieren in der Schweiz nicht. Laut Konstantin Beck, Leiter des CSS Instituts und Titularprofessor an der Universität Zürich, gibt es ein Bundesgerichtsurteil von 2010, das die Kosten der Medikamente zur Behandlung von Morbus Pompe (einer seltenen Stoffwechselkrankheit) in der Höhe von 100 000 Franken pro Jahr rechtfertig – sofern die Behandlung das Leben ebenfalls um ein Jahr verlängert.
Hohe Kosten, aber nur bei wenigenDie Zahlen des Forschungsteams um Beck zeigen, dass zwar die Kosten, die am Lebensende anfallen, tatsächlich sehr hoch sind und die Behandlung von Krebspatienten ebenfalls sehr teuer ist. Setzt man diese Werte jedoch in Relation zu den gesamten Gesundheitskosten, verändert sich das Bild wieder: Todesfälle verursachten nur 4,6 Prozent aller in der Grundversicherung abgerechneten Kosten. Und Personen mit Krebs (die Verstorbenen einbezogen) lösten 10,5 Prozent aller Kosten aus.
Um die Kosten zu untersuchen, die in den letzten zwölf Lebensmonaten anfallen, arbeiteten die Forschenden mit Versicherungsdaten von 27 000 Verstorbenen aus den Jahren 2008 und 2010. Da Todesursachen, Gesundheitsausgaben und Sterbeverläufe je nach Alter stark variieren können, betrachteten sie die «jung Verstorbenen» (65-jährig oder jünger) getrennt von den «verstorbenen Senioren» (66-jährig oder älter). Methodisch gingen die Forschenden so vor, dass die Kostenverläufe automatisch mit einem statistischen Algorithmus nach Höhe der Kosten und Kurvenform gruppiert wurden.
«Die Kostenspitzen am Lebensende sind auf einen sehr hohen Anteil an im Spital verstorbener Personen zurückzuführen.»
Konstantin Beck, Gesundheitsökonom
Bei den jüngeren Verstorbenen zeigte sich, dass nur die Kosten einer kleinen Gruppe in den allerletzten zwei Lebensmonaten sehr stark ansteigen: Sie machen gerade 4 Prozent aller untersuchten Todesfälle aus. 70 Prozent von ihnen weisen einen Kostenverlauf auf, der unter dem Durchschnitt liegt und relativ stabil ist. Betrachtet man die Art der Kosten, sieht man, dass «die Spitalkosten das Bild dominieren», sagte Beck. Auch die Medikamente seien Kostentreiber.
Bei den verstorbenen Senioren zeigte sich hinsichtlich der Kurven ein ähnliches Bild: Bei 78 Prozent von ihnen verliefen die Kostenkurven im letztem Lebensjahr relativ flach. Sie lagen durchschnittlich unter 2000 Franken monatlich. Zwei Gruppen hingegen fielen durch Kostenspitzen ganz am Lebensende auf: Zu jener mit dem markantesten Anstieg gehörten nur 2 Prozent der Senioren, zur anderen mit dem mässigen Anstieg 14 Prozent.
Die Aufschlüsselung nach Kostenart ergibt ein ähnliches Bild wie bei den Jüngeren: Der wichtigste Kostentreiber sind Spitalaufenthalte. Bei den Senioren spielen logischerweise auch Pflegeheimaufenthalte eine Rolle.
Nicht nur Leben verlängern, sondern auch verbessern
Becks Forscherkollegin Barbara Fischer präsentierte die Resultate zur zweiten Forschungsfrage, die lautete: Entsprechen die Kosten der Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung? Dazu führte sie eine repräsentative Umfrage mit 1500 Schweizerinnen und Schweizern durch. In einem Experiment wurden diese gefragt, was sie bereit wären für ein neues Krebsmedikament zu bezahlen, ohne dass man nur noch sechs Monate zu leben hätte.
Grundsätzlich zeigten die Schweizerinnen und Schweizer eine hohe Zahlungsbereitschaft für medizinische Behandlungen am Lebensende, sagte Fischer und relativierte sogleich: «Sofern die Therapien sowohl die Lebensqualität verbessern als auch die Lebensdauer verlängern». Für eine Behandlung, die das Leben bei bester Lebensqualität um ein ganzes Jahr verlängert, sind die Befragten bereit, rund 200 000 Franken zu bezahlen. Therapien, die lediglich die Lebensdauer um ein paar Monate verlängern ohne die –qualität zu verbessern, besteht hingegen keine Zahlungsbereitschaft.
«Die überwiegende Mehrheit der Verstorbenen weisen in ihrem letzten Jahr Gesundheitsausgaben auf, die deutlich unter dem liegen, was der Durchschnittsschweizer dafür zu zahlen bereit ist.»
Barbara Fischer, Gesundheitsökonomin
Die Zahlungsbereitschaften unterschieden sich stark, je nachdem, wer von der Krankheit betroffen ist. Offenbar spielt es eine Rolle, wie lange jemand bereits gelebt hat. Denn wenig überraschend ist die Zahlungsbereitschaft bei Kindern und Jugendlichen am höchsten. Für diese würden die Befragten rund 250 000 Franken bezahlen. Für erwachsene Patienten zwischen 18 und 70 Jahren sind es rund 210 000 Franken, für ältere Patienten über 70 Jahren ist die Zahlungsbereitschaft mit 160 000 Franken am geringsten.
Zudem sind auch nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermassen bereit, ähnlich viel für Behandlungen am Lebensende zu bezahlen. Folgende Faktoren machten unterschiedliche Präferenzen aus:
- Alter: Mit steigendem Alter nimmt die Zahlungsbereitschaft ab.
- Auseinandersetzung mit dem Tod: Patienten, die sich aktiv gegen eine Organspende ausgesprochen hatten, entschieden sich eher gegen die Aufnahme des neuen Krebsmedikaments in den Leistungskatalog der Krankenversicherer. Ebenso diejenigen, die eine Patientenverfügung haben.
- Sprache: Den grössten Einfluss auf die Zahlungsbereitschaft hatte die Sprachregion. «Befragte aus der Westschweiz reagierten weniger stark auf die angedrohte Prämienerhöhung», sagte Fischer. «Das hat mich am meisten erstaunt.»
Zum Schluss verglichen die Forschenden die Zahlungsbereitschaft auch noch mit den tatsächlichen Kosten, die am Lebensende entstehen. Hier zeigte sich laut Barbara Fischer: «Die überwiegende Mehrheit der Verstorbenen weisen in ihrem letzten Jahr Gesundheitsausgaben auf, die deutlich unter dem liegen, was der Durchschnittsschweizer dafür zu zahlen bereit ist.»