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Von der Balance zwischen Fachkompetenz und Spezialwissen

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«Palliative Care bewegt»: Das zweite Zürcher Fachsymposium Palliative Care zog rund 160 Fachpersonen aus der Region ins Pflegezentrum Mattenhof (Bild: Pflegezentren der Stadt Zürich / Brigitte Rentsch)

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Zürcher Fachsymposium Palliative Care

2015 fand das erste Zürcher Fachsymposium Palliative Care statt. Die grosse Resonanz bewog die Organisatoren, das Pflegezentrum Mattenhof-Irchelpark und palliative zh+sh, ein Jahr später ein weiteres Symposium zusammen mit dem Schulungszentrum Gesundheit SGZ zu veranstalten. Im nächsten Jahr findet die dritte Ausgabe statt: Am 28. September 2017.

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24. Mai 2016 / Region

Palliative Care für alte, gebrechliche Menschen setzt eine Haltung voraus, die nach den Bedürfnissen der Betroffenen fragt. Das ist eine der Haupaussagen, die am 2. Zürcher Fachsymposium Palliative Care zum Tragen kam. Kommunikation wird damit zur Schlüsselkompetenz auch in der Langzeit-Palliative-Care. Spezifische Fachkompetenzen sind in zweiter Linie gefragt. Und natürlich entsprechende Rahmenbedingungen.


«Der alte, gebrechliche Mensch mit mehrfachen Erkrankungen fordert das interprofessionelle Palliative-Care-Team ganz besonders.» Die Palliative-Care-Expertin und Pädagogin Claudia Schröter bringt es auf den Punkt: Nur innerhalb eines umfassenden, integrativen Versorgungsnetzwerkes kann den Bedürfnissen betagter Menschen mit Multimorbidität entsprochen werden. «Und das hat Konsequenzen für die Strukturen unserer Gesundheitsversorgung insgesamt», so die Bildungsverantwortliche der Stiftung Alterszentrum Region Bülach.

Am 2. Zürcher Fachsymposium Palliative Care vom vergangenen Donnerstag forderten neben Schröter auch andere Fachpersonen Bewegung in der palliativen Versorgung betagter Menschen. So zeigte sich beispielsweise der Geriater und Palliativmediziner Roland Kunz überzeugt: «Es braucht Kompetenzen in vielen verschiedenen Bereichen, um die alten Menschen in ihrer letzten Lebensphase zu begleiten.» Kunz blickt skeptisch auf die zunehmende Spezialisierung des Personals auf bestimmte, einzelne Bereiche. In der Langzeitpflege, so das Vorstandsmitglied von palliative zh+sh, brauche es Kenntnisse vor allem in vier Fachbereichen: Geriatric Care, Palliative Care, End-of-life Care und Dementia Care. Die Spezialisierung auf einen der Bereiche sei nicht immer hilfreich. «Am Schluss ist niemand mehr für den alten Menschen zuständig, sondern alle nur noch für je ein spezifisches Problem.»

Kommunizieren als Schlüssel

Schnell war man am Fachsymposium vom 19. Mai 2016 im Zürcher Pflegezentrum Mattenhof also beim Kern der Thematik angelangt. Unter dem Titel «Palliative Care bewegt» organisierten das Pflegezentrum Mattenhof-Irchelpark, palliative zh+sh und das Schulungszentrum Gesundheit der Stadt Zürich SGZ das halbtägige Symposium, an dem rund 160 Fachpersonen teilnahmen. Schon bei der Begrüssung sagte die Geschäftsleiterin von palliative zh+sh Monika Obrist, in der Praxis der Palliative Care für betagte Menschen müsse sich noch einiges bewegen. Viel zu oft, so Obrist, werde Palliative Care noch ausschliesslich im Zusammenhang mit der Onkologie wahrgenommen. Sie verwies auf die Gründung der neuen Fachgesellschaft für Palliative Geriatrie FGPG und zitierte aus der Präambel der Gesellschaft, aus der hervorgeht, dass die Palliative Geriatrie als ganzheitliches Konzept für Betroffene und Betreuende zu denken ist.

«Die Ziele der FGPG drücken genau das aus, worum es heute hier geht», so Obrist. «Es geht am Ende nämlich um das Erschliessen von Kommunikationswegen.» Man müsse zur richtigen Zeit und auf die richtige Art über die wichtigen Dinge sprechen, damit alte Menschen gehört und verstanden werden. «Dafür braucht es ein multiprofessionelles Team», so Obrist. Sie hob dabei die «Schlüsselrolle» der Sozialdienste hervor. Gerade wenn es um Kommunikation gehe in schwierigen Situationen am Lebensende, seien die Sozialarbeitenden Schlüsselpersonen. Und diese, so Obrist, hätten aktuell in der Praxis zu wenig Gewicht in der Palliative Care. «Da gibt es noch sehr viel Potenzial.»

Schwer erfassbares Symptom: Angst

Vom Umgang mit Sorgen von betroffenen alten Menschen handelte auch der Beitrag von Marcel Meier, Pflegefachmann und Beauftragter für Palliative Care am Pflegezentrum Mattenhof-Irchelpark. Nämlich sprach er über die Angst von Bewohnenden. Im Rahmen seiner Master-Ausbildung hatte er ein mehrdimensionales Erfassungstool für Angst entwickelt, kurz «Angstleitfaden». Angst, so Meier, spiele gerade in der Palliative Care eine grosse Rolle. Viele Situationen und Rahmenbedingungen können bei Betroffenen Angst auslösen, beispielsweise die Ungewissheit über den Krankheitsverlauf, Schmerz, soziale Situationen, unbefriedigende Wohnsituationen etc. In bereits komplexen Situationen könne das Gefühl der Angst die Betroffenen zusätzlich belasten, ihre Belastbarkeit schwächen und Beziehungen beeinträchtigen.

Doch als diffuses Gefühl sei es eben nicht leicht zu erfassen – vor allem für Aussenstehende. Auch deshalb, weil es für Betroffene schwierig sei, sich in Bezug auf Angstgefühle zu artikulieren, aus verschiedenen Gründen. Ausserdem sei Angst oft schambehaftet. Zwar existieren bereits Instrumente zur Erfassung von Angst, doch seien diese weitgehend praxisuntauglich, so Meier. Der Angstleitfaden, den er deshalb entwickelt hat, wurde im Pflegezentrum Mattenhof-Irchelpark kürzlich implementiert und nach einer ersten Zwischenevaluation bereits angepasst. In einem Jahr erfolgt eine Schlussevaluation.

Was es bedeutet, alt zu sein

Von der Beweglichkeit auf betrieblicher Ebene erzählte Marcel Maier, der Leiter des SGZ und ehemaliger Kadermitarbeiter des Pflegezentrums Mattenhof-Irchelpark. Er brachte Palliative Care mit Organisationsentwicklung in Verbindung zeigte auf, wie das Pflegezentrum Mattenhof-Irchelpark zum Kompetenzzentrum für Palliative Care wurde. Unter anderem wurden spezifische Fachkompetenzen entwickelt und das gesamte Fort- und Weiterbildungskonzept des Pflegezentrums auf Palliative Care ausgerichtet. Auch der Kommunikation und Vernetzung wurde grosse Bedeutung beigemessen. Der Prozess zum Label für Qualität in Palliative Care von «qualitépalliative» wurde als unterstützende und begleitende Massnahme zur Verbesserung in Sachen Palliative Care genutzt. Maiers Fazit: «Die Organisationsentwicklung bietet geeignete Werkzeuge, damit sich ein Betrieb nicht in einem Flickwerk von Einzelmassnahmen verirrt.»

Die eingangs erwähnten Ausführungen von Claudia Schröter beleuchteten grundsätzliche Fragen der palliativen Geriatrie. «Was bedeutet es eigentlich, alt zu sein?», fragte sie, und machte deutlich, dass die Antwort auf diese Frage auch eng mit der Diskussion um den Stellenwert alter Menschen in der Gesellschaft verknüpft ist. Der alte, gebrechliche Mensch habe einige Einschränkungen hinzunehmen. Auf der physischen Ebene sprach Schröter von der «Erschöpfung der Handlungskapazitäten», auf psychischer Ebene empfänden viele alte Menschen eine «Bedrohung der Identität, ein Wandel des Selbstbildes und eine Einschränkung der Autonomie». Auf sozialer Ebene sei die soziale Teilhabe immer mehr eingeschränkt und damit die Tendenz zum sozialen Rückzug steigend und auf der existenziellen Ebene komme die Bilanzierung des Lebens im Alter und die Auseinandersetzung mit Sinnfragen auf alte und gebrechliche Menschen zu. Zu all dem, so Schröter, komme in den meisten Fällen eine Multimorbidität. Eine Herausforderung nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für das betreuende Team. «Prävention und Management von Multimorbidität sind nur möglich innerhalb eines umfassenden, integrativen Versorgungsnetzwerks», sagte Schröter. Besonders betonte sie, wie wichtig es in diesem Setting sei, «Zeit-Räume» zu schaffen für Gespräche, Information, Entscheidungsfindung und Begegnungen im Alltag.

«Wir müssen versuchen, den Spagat zu machen»

Diese Voraussetzungen vor Augen, setzte Roland Kunz dem Publikum eine gute Frage vor: Gehört die Langzeit-Palliative-Care zur Grundversorgung oder ist sie spezialisiertes Angebot? In der Geriatrie sieht Kunz in der starken Fokussierung auf Palliative Care eine Gefahr. Er fürchtet, sie könnte dazu führen, dass andere in der Geriatrie wichtige Aspekte zu wenig berücksichtigt werden. Gerade für multimorbide ältere Patienten müsste Palliative Care schon sehr früh beginnen, nicht erst in der letzten Lebensphase. Im Verlauf eines Lebens kommen mit steigendem Alter in vielen Fällen immer mehr neue Diagnosen für chronische Krankheiten hinzu. Palliative Care könne hier zwar sehr gute Dienste leisten, es brauche aber auch sehr viel geriatrisches Verständnis, um Betroffene umfassend betreuen zu können. Kunz ist deshalb der Meinung, in sehr vielen Fällen brauche es weniger spezialisierte Palliative-Care-Kenntnisse denn eine entsprechende Haltung, die nach den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten frage.

In der Langzeitpflege gehe es wie in der Palliative Care am Ende darum, den Fokus wegzunehmen von der Krankheitsbekämpfung, und ihn dafür auf das Leben mit den Krankheiten und auf das Leben mit der Endlichkeit zu legen. Hilfreich sei es darum, wenn Fachpersonen Kenntnisse in verschiedenen Bereichen hätten, ohne sich allzu stark zu spezialisieren. «Wir müssen versuchen, den Spagat zu machen», findet Kunz. Das Knowhow der spezialisierten Palliative Care müsse der Grundversorgung zugänglich gemacht werden, aber auch umgekehrt solle ein Wissenstransfer stattfinden. Darum fordert Kunz, dass die neueren Nationalen Strategien des BAG nun verknüpft werden sollen: Jene für Palliative Care, jene für Demenz und die für die integrierte Versorgung. Für Fachpersonen aus der Praxis empfiehlt Kunz die «Empfehlung Sterbephase» von palliative ch, sowie die Bigorio-Empfehlungen. Zudem für einen professionellen Umgang mit Demenzkranken das «White paper on dementia» der EAPC, die darin Behandlungsprioritäten aufzeigt.

Sich ein wenig Zeit nehmen lohnt sich

Die anschliessende Podiumsdiskussion drehte sich unter anderem um Fragen der Alltagsgestaltung in der Langzeitpflege. Wie können sich Betreuende die von Claudia Schröter angesprochenen «Zeit-Räume» verschaffen und wie kann die allseits geforderte Grundhaltung gepflegt werden? Schröter zeigte sich überzeugt, dass auch mit den aktuellen Rahmenbedingungen sehr viel mit Aufmerksamkeit und Präsenz erreicht werden kann. «Vielleicht habe ich nur zehn Minuten Zeit für eine Bewohnerin. Aber in diesen zehn Minuten kann ich vollkommen bei ihr sein, mit meiner ganzen Aufmerksamkeit», so Schröter. Allzu oft sei man im Arbeitsalltag bereits bei der nächsten Pendenz und mit einem Fuss im nächsten Zimmer. Auch in Bezug auf die Angehörigenarbeit nimmt Schröter dezidiert Stellung. Auch wenn diese Arbeit keine «verrechenbare» Leistung sei, so lohne sich die Investition. «Geht es den Angehörigen gut, geht es auch den Bewohnenden besser.»
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