Eine neue länderübergreifende Fachgesellschaft will die Palliative Geriatrie im deutschsprachigen Raum voranbringen. Die interdisziplinäre Organisation wurde kürzlich in Berlin gegründet und stellt sich an der nächsten Netzlounge von palliative zh+sh vor.
Palliative Care für hochbetagte Menschen und für Menschen mit Demenz braucht eine gewichtigere Stimme. Dieser Meinung sind drei Fachpersonen aus drei verschiedenen Ländern, die gemeinsam eine Fachgesellschaft für Palliative Geriatrie gegründet haben. «Palliativgeriatrische Kompetenz – fachliche, inhaltlich, soziale, emotionale und ethische Kompetenz – kann zwar nicht die Probleme lösen, die durch defizitäre Rahmenbedingungen entstehen», schreibt die neue Fachgesellschaft Palliative Geriatrie (FGPG) auf ihrer Webseite. - Und spielt damit vor allem auf die Ressourcen an, die in der Betreuung betagter und sterbender Menschen allseits zu knapp sind. «Aber sie kann die Reibungsverluste im Alltag erheblich reduzieren.» Darum möchte die FGPG sich dafür einsetzen, dass der Ansatz der Palliativen Geriatrie in der Altenpflege, in Hospizarbeit und Palliative Care, sowie in den Aus- und Fortbildungen stärker Eingang findet.
Die Fachgesellschaft Palliative Geriatrie ist eine gemeinnützige Organisation von Pflegenden, Wissenschaftlerinnen, Ärzten, Hospizen, Palliative Care Fachkräften und Ehrenamtlichen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Luxemburg. Laut dem Schweizer Gründungs- und Vorstandsmitglied Roland Kunz zählt die Gesellschaft kurz nach ihrer Gründung erst wenige Mitglieder. Viele von ihnen, berichtet Kunz, haben sich bereits vor der Gründung der Gesellschaft angemeldet. Nun möchte die FGPG wachsen und nimmt Personen aller Berufsgruppen sowie Ehrenamtliche auf, die im Bereich Geriatrie und Palliative Care tätig sind.
Gegengewicht zur «onkologiezentrierten Palliative Care»
Neben dem Palliativmediziner und Geriater Roland Kunz sind die Professorin Katharina Heimerl von der Fakultät für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung IFF in Wien sowie Dirk Müller, Projektleiter des Kompetenzzentrums Palliative Care im Unionshilfswerk in Berlin im Vorstand vertreten. Zusammen legten sie den Grundstein für die FGPG bereits im vergangenen Herbst nach der 10. «Fachtagung Palliative Geriatrie» in Berlin. Die Tagungen organisierte jeweils Dirk Müller und im Rahmen dieser Tagungen bestand eine langjährige Zusammenarbeit der Fachkräfte aus dem deutschen Sprachraum, wie Kunz erklärt. «Bei der ersten Tagung gründeten wir ein Forum zum Thema - vor allem als eine Art Gegengewicht zur stark onkologiezentrierten Palliative Care», erzählt Kunz. Aus der Zusammenarbeit verschiedener Fachpersonen in diesem Forum ging unter anderem das Buch «Demenz und palliative Geriatrie in der Praxis» hervor, das derzeit im Springer Verlag in der zweiten Auflage erscheint.
Die zehnte Fachtagung vom Oktober 2015 war zugleich das 10-jährige Jubiläum des Forums. «Wir fanden, das sei ein guter Zeitpunkt, der Zusammenarbeit einen neuen Rahmen zu geben und sie auf eigene Füsse zu stellen», so Kunz. Also wurde die Fachgesellschaft Palliative Geriatrie gegründet. Ob es eine weitere Fachgesellschaft in diesem Bereich überhaupt braucht? Kunz findet: Ja, denn die geriatrische Palliative Care habe aktuell zu wenig Gewicht. «Palliative Care in Pflegeheimen beispielsweise wird sehr stiefmütterlich behandelt», meint er. Auch palliative ch konzentriere sich nach wie vor sehr stark auf spezialisierte Palliative Care. Obwohl sich das Engagement im Rahmen der Nationalen Strategie verbreitert habe und die palliative Grundversorgung ebenfalls gefördert werde, gebe es für klassische Langzeit-Institutionen grossen Nachholbedarf. Es fehle an einer Plattform und die müsste zudem auch das Thema «Demenz» viel stärker einbeziehen. Von den hochbetagten Menschen ist immerhin ein Drittel von Demenz betroffen. In den Pflegeheimen sind zwei Drittel der Bewohnenden demenzkrank. Palliative Care für hochaltrige, multimorbide und demenzkranke Menschen müsse vorankommen. «Mit der Fachgesellschaft Palliative Geriatrie wollen wir dem Thema ein Gesicht geben», sagt Kunz.
Eine Zeitschrift für die Basis
Darum fiel an der 10. Fachtagung im vergangenen Herbst also der Entscheid zur Gründung der internationalen FGPG. Eine der Ideen dahinter: Die Tagung nicht nur in Berlin zu veranstalten, sondern in ähnlicher Form und mit ähnlichen Inhalten auch in anderen deutschsprachigen Ländern. Künftig sollen nun drei Tagungen in drei Ländern zum selben Thema stattfinden. «So müssen wir beispielsweise von der Schweiz nicht jedes Jahr nach Berlin reisen, um die Inhalte und den Austausch an der Tagung zu erleben», sagt Kunz. Dadurch können wahrscheinlich mehr Fachpersonen an den Tagungen teilnehmen – und sie können sich innerhalb ihrer Region besser vernetzen.
Die andere Idee: Eine Zeitschrift zum Thema palliative Geriatrie herauszugeben, die alle Fachpersonen an der Basis in allen deutschsprachigen Ländern erreicht. Letztes Jahr kam zur Fachtagung eine Jubiläumszeitschrift heraus. Ab sofort erscheint vierteljährlich eine offizielle «Fachzeitschrift Palliative Geriatrie» im Hospiz Verlag. Kunz erinnert sich an eine frühere Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern für die EAPC (European Association for Palliative Care). Gemeinsam publizierten sie ein Paper zum Thema um aufzuzeigen, was europaweit in diesem Bereich aktuell passiert. Die Zusammenarbeit sei gut gewesen, das Ergebnis auch. «Aber die Pflegefachfrau am Bett im Pflegeheim hat keinen Bezug zur EAPC und damit kaum Zugang zu solchen Publikationen. Dabei wollen wir doch die Informationen an die Basis bringen!». Die Zeitschrift der FGPG soll darum so gestaltet werden, dass sie interessant ist für Fachpersonen in der Praxis. In jeder Ausgabe sollen ausserdem Beiträge aus allen drei Ländern veröffentlicht werden.
FGPG an der Netzlounge in Zürich
Überhaupt ist es den Gründungsmitgliedern der FGPG wichtig, länderübergreifend zu arbeiten. «Letztlich können wir alle voneinander nur lernen», sagt Kunz dazu. «Es beschäftigen ja überall dieselben Fragestellungen.» Wenn an einem Ort ein passender Lösungsansatz gefunden worden sei, warum sollte dieser an einem anderen Ort nicht übernommen werden? «Wir können Synergien nutzen, uns gegenseitig Denkanstösse geben», so Kunz.
Als Anlaufstelle für konkrete Fragen wird die internationale FGPG weniger fungieren denn als Interessenvertreterin und Netzwerk für alle, die in diesem Bereich arbeiten. Man will allerdings den Aufbau regionaler Netzwerke fördern, die zur FGPG mit ihrer Geschäftsstelle in Esslingen Kontakt pflegen. In den regionalen Netzwerken sollen dann Fachpersonen aus den verschiedenen Bereichen Wissen teilen und Fragestellungen gemeinsam bearbeiten.
Am Donnerstag, 12. Mai 2016 treffen sich die Vorstandsmitglieder der FGPG in Zürich, um an ihrem Ziel weiterzuarbeiten. Um 16 Uhr stellen sie die Gesellschaft an der «Netzlounge» von palliative zh+sh vor. Die Netzlounge findet an der Pädagogischen Hochschule Zürich (Lagerstrasse 2, Raum LAB-K080) statt.