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Medienschau März 2020

Medienschau März 2020

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Die Medienschau von palliative zh+sh gibt Einblick in die Berichterstattung zu Palliative Care und verwandten Themen des vergangenen Monats. (Bild: palliative zh+sh, ei)

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Die Medienschau ist eine Momentaufnahme eines Ausschnittes der öffentlichen Diskussion zum Thema und bietet kurze Zusammenfassungen, zeigt Verknüpfungen auf und soll nicht zuletzt unterhalten und zur weiteren Lektüre der besprochenen Beiträge anregen. Wo vorhanden werden die Links zu den Beiträgen deshalb unter «Links zu den Beiträgen» aufgelistet.

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06. April 2020 / Medien
Dominikanerin, Geschäftsführerin, Sterbebegleiterin, Arzt, Jesuit und Zen-Meister, Senior, Sterbehelferin, Sohn – alles «Menschen wie du und ich». Was sagen sie zur gesellschaftlichen Entwicklung in Sachen Sterben und Tod? Was zu maschineller Beatmung und «tender loving care»? Was zu Covid-19? Was zu Sterbehilfe? Nicht nur die derzeitige Pandemie beschäftigt, wie unsere Medienschau veranschaulicht. Sie zeigt auch, dass Palliative Care trägt – gerade in schwierigen Zeiten.
Graubünden ist bei der Sterbebegleitung einer der fortschrittlichsten Kantone der Schweiz. Im März 2020 feiert die Organisation «Tecum, Verein zur Begleitung Schwerkranker und Sterbender» ihr 20-Jahr-Jubiläum. Wie haben sich die Ansichten zu Tod und Sterben verändert? Was sind das für Menschen, die anderen auf dem letzten Teil des Lebenswegs Hand bieten? Red’ und Antwort stehen in der SRF-Sendung «Standpunkte» Corina Carr, Geschäftsführerin Tecum, und Monika Lorez-Meuli, ehemalige Grossrätin und Geschäftsführerin palliative gr. Sie beleuchten das Thema sowohl von der Front, also vom unmittelbaren Einsatz bei Sterbenden, als auch von der Politik, welche die Verankerung der Palliative Care vom ersten Moment unterstützte. Ergänzend dazu erzählt Schwester Madlen Büttler, Dominikanerin im Kloster Ilanz, anekdotenreich aus 30 Jahren Erfahrung in Hospiz- und Palliativpflege. Sie berichtet auch, wie man lernt, Sterbende zu begleiten.

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Mobile Palliativdienste sollen Schwerkranken im Kanton Bern die letzte Lebensphase zu Hause ermöglichen, berichtet Der Bund. Die Kantonsbehörden starten einen dreijährigen Modellversuch mit mobilen Palliativdiensten (MPD). Der Versuch soll die Grundlagen für einen Entscheid dafür liefern, ob die MPD regulär und flächendeckend eingeführt wird, wie die Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) mitteilt. Den mobilen Teams gehören Medizin- und Pflegefachleute an, die wiederum mit Spezialisten aus dem psychosozialen Bereich zusammenarbeiten. Die MPD beraten Hausärzte und Pflegepersonal bei der Betreuung von Schwerkranken in der letzten Lebensphase, zu Hause oder im Heim. Dadurch sollen Überweisungen in ein Akutspital vermieden werden.

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Wie geht Niklaus Brantschen, Jesuit und Zen-Meister, mit den Grenzen um, die wegen Covid-19 derzeit gezogen werden, wie nicht hinaus gehen, einander nicht berühren und zuhause bleiben? Und welche Antworten hat er auf Sorgen und Ängste? In Zeiten der Corona-Pandemie hat die Journalistin das Interview für das «Tagesgespräch» von Radio SRF mit dem 82-Jährigen per Telefon geführt. Auch er sei in einer eigenartigen Verfassung, so Brantschen, in einer «Hängepartie par excellence». Und doch sehe er auch Potenzial in dieser unsicheren Situation, wo man nie wisse, was am andern Tag sei. So habe ihm ein Bekannter eine Liste geschickt mit all dem, was er in dieser «Corona-Auszeit» alles mache: Neues lernen, den Kühlschrank putzen, die Waschküche selber streichen und nicht zuletzt hoffe er, diese Zeit auch für Stille und Besinnung nutzen zu können. Brantschen: «Dazu kann ich ihm nur gratulieren!» Auf die Frage nach einem möglichen tieferen Sinn von Corona erklärt er: «Den sehe ich in der Erfahrung, dass wir eins sind. Die Welt ist vernetzt. Das Leben ist isoliert gar nicht denkbar.» Auch dass Corona nur gemeinsam überwunden werden könne, werde veranschaulicht. Das werde jetzt gelebt: Es fänden länderübergreifende Zusammenarbeiten im Gesundheitswesen und mit Forschern statt.

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Die Bewohner im Alters- und Pflegeheim dürfen ihre Angehörigen nicht mehr sehen. Im Fall einer Coronaerkrankung wird der Hausarzt in Absprache mit den Angehörigen und unter Einhaltung der besonderen Richtlinien des Bundes und der Patientenverfügung über eine Einweisung ins Spital entscheiden. «Viele der erkrankten Bewohnerinnen und Bewohner werden im Heim bleiben und dort möglicherweise auch sterben» , damit rechnet Ursi Rieder, Bereichsleiterin Pflege und Betreuung im Alterszentrum Kreuzlingen. Obwohl eine herausfordernde Situation herrsche, sei es dennoch sehr ruhig. Man rede viel miteinander. «Ich bin mit vielen Hausärzten in Kontakt und wir rechnen damit, dass wir Coronakranke im Zentrum haben werden und dass auch Bewohner daran sterben werden.» Die Thematik Tod und Krankheit und die Frage nach der Hospitalisierung bei schweren Erkrankungen sei im Zentrum alltäglich. Jetzt sei die Situation insofern erschwert, weil sie davon ausgehe, dass die am Coronavirus erkrankten Bewohner kaum ins Spital eingeliefert werden können. Der Ablauf sei wie immer, man rede mit den Betroffenen, den Angehörigen, dem Hausarzt und schaue die Patientenverfügung an. «Wichtig ist auch die Palliativpflege. Hier werden wir schauen, dass die Erkrankten keine Schmerzen oder Atemnot haben werden.»
«Meine Antwort als lang gedienter Spitalarzt: die hervorragenden palliativen Möglichkeiten, über welche die Medizin des 21. Jahrhunderts verfügt.» Andreas U. Gerber, Professor und Spezialarzt für innere Medizin und Infektiologie

«Der wohl unglücklichste (und teuerste) Entscheid, den ich mir im Zusammenhang mit einer Covid-19-Behandlung vorstellen kann, betrifft die Intubation und die Langzeitbeatmung oder auch nur die Hospitalisation eines (Alters-)Patienten, der dies aufgrund seines authentischen Willens gar nie gewollt hätte.» Das schreibt Andreas U. Gerber, Professor und Spezialarzt für innere Medizin und Infektiologie sowie Mitglied der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften, in seinem Gastkommentar in der NZZ. «Es wird versucht, mit grossem Aufwand einen meist alten, leidenden Menschen gegen seinen Willen am Leben zu erhalten. Gleichzeitig werden Ressourcen fehlallokiert, was im schlimmsten Fall einem anderen Menschen das Leben kostet. Wie kann ein solcher Fehlentscheid verhindert werden, und was kann die betroffene Person dazu beitragen, dass dies nicht geschieht?» In klaren Worten nimmt er Stellung, betrachtet, erwägt und weist auf mögliche Lösungen hin. Welche Rechte stehen Schwerstkranken zu, die eine künstliche Beatmung ablehnen? Was wären die Alternativen? «Meine Antwort als lang gedienter Spitalarzt: die hervorragenden palliativen Möglichkeiten, über welche die Medizin des 21. Jahrhunderts verfügt – eine Medizin, welche sich nicht der Lebenserhaltung verpflichtet, sondern dem Ziel einer optimalen Lebensqualität am Lebensende: keine Angst und keine Unruhezustände, keine Atemnot und eine möglichst effiziente Schmerztherapie – kurz in englischer Sprache: «tender loving care» . Die zentrale Pflicht der Palliative Care ist jene des «non-abandonment» – die Garantie, von Ärzten, Pflegepersonal und unserem Gesundheitswesen auch am Lebensende nicht im Stich gelassen zu werden.»

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Manche Schweizer Senioren bereiten sich sehr genau auf Corona vor und wünschten im Notfall keine künstliche Beatmung, schreibt der Tagesanzeiger. Einer dieser Senioren sei John Marinello: Er trägt einen Kleber auf der Brust, jeden Tag. «No CPR» steht darauf, keine Cor-Pulmonal-Reanimation, das kann man übersetzen mit: Bitte nicht künstlich beatmen, bitte keine Herzmassage. Einmal in der Woche muss der 80-Jährige den Aufziehkleber ersetzen, in diesen Tagen klebt ihn Marinello mit besonderem Bewusstsein auf, «No CPR» könnte über sein Leben entscheiden. Diese Kleber hat Angelina Horber 2011 ins Leben gerufen. Horber führt ein Spitexunternehmen und hat sich in der palliativen Pflege spezialisiert. Damit die Kleber gelten würden, brauche es eine Patientenverfügung, sagt sie. Diese sorgt für Situationen vor, in denen der Patient nicht mehr selbst entscheiden kann. Er kann darin zum Beispiel festhalten, dass er nach einem Schlaganfall oder einem Lungenversagen nicht künstlich am Leben gehalten werden soll. «Ich habe ein super Leben gehabt», sagt Marinello, das Coronavirus gerade sehr präsent, Gedanken über den Tod kämen da automatisch. Marinello weiss, was er nicht will. Künstliche Hilfe, oder explizit: den Beatmungsschlauch. «Wenn es mich auf diese Art nimmt, dann nimmts mich», sagt er. Wenn Marinello das Bewusstsein verliert und der Notarzt ihm die Brust freilegt, um ihn wiederzubeleben, signalisiert ihm der Kleber, dass das Marinello nicht will.

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Sollen Altersheime Sterbehilfe erlauben? Senioren im Wallis tun sich schwer damit, zeigt der Bericht der SRF-News. Ob Bewohnerinnen und Bewohner im Kanton Wallis auch im Pflegeheim Sterbehilfe in Anspruch nehmen dürfen, hängt derzeit vom jeweiligen Heim ab. Es gibt Heime, die Sterbehilfe-Organisationen den Zutritt erlauben, rund die Hälfte schliesst die Sterbehilfe jedoch aus. Ob das Recht auf Sterbehilfe in das kantonale Gesundheitsgesetz geschrieben werden soll, entscheidet nun das Kantonsparlament. Das Thema ist umstritten – auch bei den Walliserinnen und Wallisern. Insbesondere Ältere tun sich schwer damit, wie ein Besuch am Seniorentreff in Brig veranschaulicht. Hier treffen sich regelmässig Leute im Alter von 70 bis 85 Jahren zu Diskussionsrunden. Viele von ihnen haben demente Partner oder sind seit Kurzem verwitwet. Der Tod ist nah – trotzdem werde nicht darüber gesprochen. «Was machen wir, wenn wir einmal sterben?», das habe er ein paar Mal mit seiner Frau besprechen wollen, sagt ein Mann. «Sie wollte aber nie etwas davon wissen. Dadurch haben wir auch nie über Sterbehilfe gesprochen.» «Vielleicht müssten wir da umdenken» , meint eine Teilnehmerin. Lange habe sie gedacht, sie hätte auch lieber eine Spritze, als zu leiden. «Im Moment geht es mir zu gut, um dies zu entscheiden», so die Frau. Ein Teilnehmer bekundet Mühe, dass Institutionen per Gesetz dazu verpflichtet werden sollen, Sterbehilfe-Organisationen Zutritt zu gewähren. «Das ist wie ein Dammbruch.» Wenn man damit beginne, verliere das Leben an Wert, befürchtet er.
«Wäre Gott dagegen, hätte er mich gebremst.» Erika Preisig, Sterbehelferin

Bald sollen in Flüh, unterhalb des Wallfahrtsortes Mariastein, assistierte Suizide durchgeführt werden. Die Basellandschaftliche Zeitung veröffentlicht dazu eine Debatte von Sterbebegleiterin Erika Preisig und Abt Peter von Sury vom Kloster Mariastein. Es sei ein umstrittenes Projekt, das die Menschen im Solothurnischen Leimental stark bewegt, so die Tageszeitung. Die Ärztin Erika Preisig hat vor, mit ihrer Stiftung Eternal Spirit nach Flüh umzuziehen. In einer Villa am Dorfrand sollen assistierte Suizide durchgeführt werden. Oberhalb des Hauses liegt das Kloster Mariastein, dessen Abt Peter von Sury sich in der Vergangenheit kritisch gegenüber dem Vorhaben geäussert hat. Im Gespräch zwischen der Sterbebegleiterin und dem Geistlichen prallen Welten aufeinander. Auf die Frage «Sind sie gläubig, Frau Preisig?», antwortet sie: «Ich sage von mir, dass ich immer noch gläubig bin. Ich habe aber keine Angst mehr vor der Strafe Gottes. Sie wäre schon lange über mich gekommen, falls es sie geben würde. Wenn Gott etwas dagegen hätte, was ich mache, hätte er mich schon längst gebremst.» Und mit welchen Gefühlen würde Abt Peter auf das Haus in Flüh schauen, wo, wenn das Projekt zustande käme, rund 60 assistierte Suizide pro Jahr durchgeführt würden? «Falls ich eines Tages neben dem Haus in Flüh vorbeifahre, in dem sich das Sterbezimmer befindet, würde ich den Sterbenden dort einen guten Tod wünschen. Den Angehörigen würde ich wünschen, dass sie das Gottvertrauen nicht verlieren. Ein kurzes Gebet ist für mich durchaus eine Möglichkeit, damit umzugehen.»

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Das Coronavirus trifft auch die Zürcher Sterbehilfeorganisation Exit, schreibt der Tagesanzeiger. «Vorerst können bei Mitgliedern leider keine Begleitungen mehr durchgeführt werden», stehe auf der Website. Exit-Mediensprecher Jürg Wiler präzisiert auf Anfrage des Tagesanzeigers: «Nur medizinisch dringende Begleitungen, die sich nicht verschieben lassen, führen wir noch aus.» Bereits geplante Begleitungen würden reduziert. Entsprechende Anfragen von kurzfristig angemeldeten Neumitgliedern könnten nicht berücksichtigt werden. Abklärungen hinsichtlich einer Begleitung wie das Begutachten der Unterlagen oder Rezepte seien jedoch möglich. Administration und telefonische Beratung liefen weiter. Der Grund für die Einschränkung sei der Schutz der Sterbebegleiterinnen. Die Mehrheit der 44 Exit-Sterbegleiter sei über 65 Jahre alt und gehörten zur Risikogruppe. Exit nehme die Fürsorgepflicht als Arbeitgeber, also die Auflagen der Behörden während der Corona-Krise, ernst. Die Begleiter reisen in der Regel mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu den Sterbewilligen, manchmal begleitet von einer Infusionsfachfrau oder einem Arzt. «Sollte sich ein Freitodbegleiter infizieren und allenfalls auch Leute der Geschäftsstelle anstecken, wären wir nicht mehr handlungsfähig». Für die medizinisch dringenden Fälle sind derzeit nur jüngere Sterbehelfer unterwegs. Laut Wiler sei eine Freitodbegleitung noch eine legale medizinische Dienstleistung, auch wenn sie den gleichen Abstand erfordere wie etwa bei Coiffeusen. Für den Sterbebegleiter sei es oft schwierig, keinen körperlichen Kontakt zum Sterbenden zu haben; manchmal müsse bei diesem eine Infusion gesetzt werden. Im Sterberaum dürften sich nicht mehr als fünf Personen aufhalten.
»Allerdings: Wenn Krankheit, Leid und Tod auf Familie, Zuneigung und Liebe treffen, wird abstrakte Ethik plötzlich zu einer konkreten und sehr persönlichen Frage: Wie hätte ich gehandelt?» Christoph Eisenschink, Sohn

Der Autor verlor vor Kurzem seinen Papa. Was, wenn der kranke Vater selbstbestimmt hätte gehen wollen – oder dürfen? Er schreibt dem Vater einen Brief mit schwierigen Fragen und einigen Antworten. Das Condé Nast Germany-Magazin hat diesen Brief veröffentlicht. Am 26. Februar 2020 erklärte das deutsche Bundesverfassungsgericht ein Verbot der geschäftsmässigen Sterbehilfe für nichtig. Vier Monate zuvor verstarb der krebskranke Vater des Autors. Seit dem Urteil fragt dieser sich: Was, wenn das Schicksal seinem Vater die Entscheidung zu sterben nicht abgenommen hätte? Was, wenn sein Papa selbstbestimmt hätte gehen wollen – und dürfen? «Lieber Papa, 62 Jahre – verdammt, das ist kein Alter. Zum Sterben schon gar nicht.» Er solle ihn nicht falsch verstehen, es sei schlimm und unbegreiflich, dass er nicht mehr da sei. Wenigstens sei der Gedanke tröstlich, dass er nicht mehr leiden müsse. «Ich war immer ein Befürworter der assistierten Selbsttötung durch Ärzte. Warum sollte der Staat sich das Recht anmassen, Menschen zum Qualtod zu zwingen – und Ärzte zu bestrafen, die aus Menschlichkeit handeln? Ist das das viel beschworene christliche Menschenbild? Allerdings: Wenn Krankheit, Leid und Tod auf Familie, Zuneigung und Liebe treffen, wird abstrakte Ethik plötzlich zu einer konkreten und sehr persönlichen Frage: Wie hätte ich gehandelt?» Was hätte er gemacht, wenn der Vater zu ihm gekommen wäre und gesagt hätte, dass er so nicht mehr weiterleben möchte? «Dass du es nicht mehr erträgst, nichts essen zu können, dich nicht mehr mitteilen zu können? Dass du die Hustenanfälle in der Nacht und den von der Flüssignahrung verschleimten Magen leid bist? Ich weiss nicht, wie ich reagiert hätte. Du warst und bleibst mein Vater. Für mich hattest du immer Würde, aber welches Recht hätte ich gehabt, für dich zu entscheiden, was ein würdiges Leben ist?»
palliative zh+sh, Christina Buchser