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Interview mit David Blum: «Palliative Care ist Teamarbeit»

Prof. Dr. David Blum, Ärztlicher Leiter des Kompetenzzentrums Palliative Care am Universitätsspital Zürich und Chefarzt am Stadtspital Zürich, ist der Gewinner des 1. Palliative Care Awards von palliative zh+sh. Ein Gespräch über klinische Tätigkeit, Lehre und Forschung.

David Blum, Sie sind soeben mit dem 1. Palliative Care Award von palliative zh+sh ausgezeichnet worden. Was bedeutet Ihnen diese Ehrung?

David Blum: Sie freut mich natürlich sehr. Ich verstehe den Preis als einen Teampreis. Es ist schön, dass sich in der Palliative Care im Kanton Zürich einiges bewegt und dass ich ein Teil dieses Ganzen sein kann. Mit der neuen Strategie des Kantons Zürich, mit den 10 Kompetenzzentren und einer flächendeckenden ambulanten Versorgung nehmen wir inzwischen schweizweit eine Vorreiterrolle ein. Leider ist es aber noch immer so, dass Palliative Care nicht allen Menschen ein Begriff ist. Vielleicht hilft gerade auch dieser Award von palliative zh+sh, die Anliegen der Palliative Care in die Öffentlichkeit zu tragen.

Was hat Sie einst zur Palliative Care geführt?

Ehrlich gesagt, als ich mein Studium aufnahm, wusste ich gar nicht, dass es diese Disziplin gibt. Als ich die Facharztausbildung für medizinische Onkologie absolvierte, kam ich mit Palliative Care in Berührung. Mir gefiel der patientenorientierte Ansatz, mit welchem individuelle Wege mit jedem einzelnen Patienten, jeder einzelnen Patientin gesucht werden, um zu der bestmöglichen Lösung zu kommen.

Und wo haben Sie diesen Ansatz kennengelernt?

Ich habe im Kantonsspital St. Gallen die Palliative Care so richtig kennengelernt mit Florian Strasser, Steffen Eychmüller und Daniel Büche.

Heute sind Sie einer der führenden Palliative-Care-Mediziner der Schweiz, leiten das Kompetenzzentrum Palliative Care am Universitätsspital Zürich und seit 2021 das Zentrum für Palliative Care am Stadtspital Zürich. Was bedeutet Ihnen die klinische Arbeit?

Die klinische Arbeit ist die eigentliche Grundlage der Palliative Care – auch bezüglich Forschung und Lehre. Die spannendsten Ideen kommen im klinischen Alltag.  Die täglichen Begegnungen mit den Patientinnen und Patienten bedeuten mir viel. Zudem spüre ich, dass die Akzeptanz dieser Disziplin grösser geworden ist in den letzten Jahren – inzwischen ist sie gar ein Qualitätsmerkmal einer Institution. Das individuelle und patientenzentrierte Vorgehen stösst auf immer grösseres Interesse. Auch sind Themen wie Sterben, Tod und Wünsche am Lebensende in den vergangenen Jahren mehr in den Fokus getreten – gerade auch wegen Corona.

Hört man sich bei Ihren Kolleginnen und Kollegen um, dann werden Sie als ausgesprochener Teamplayer bezeichnet. Weshalb ist die interprofessionelle und vernetzende Zusammenarbeit so wichtig?

Palliative Care macht man nicht allein und kann man auch nicht allein machen. Es braucht ein Team von Kolleginnen und Kollegen verschiedenster Berufsgruppen, denen man allen auf Augenhöhe begegnet. Die Menschen, die in der Palliative Care arbeiten, haben sich ganz bewusst für diesen Bereich entschieden. Auch deshalb macht es Freude, im Team zu arbeiten: Wir haben alle das gleiche Ziel vor Augen. In der Palliative Care ist es wichtig, auch dem Team Sorge zu tragen.

Ein gemeinsames Ziel haben. Das gilt nicht nur für Ihre Teams am Zürcher Universitätsspital und Stadtspital Zürich, sondern auch für die Zusammenarbeit mit den weiteren Institutionen im Bereich Palliative Care.

Natürlich. Mit den Kompetenzzentren im Kanton Zürich pflegen wir einen engen Austausch. Auch mit anderen universitären Zentren arbeiten wir bestens zusammen und schauen, dass wir uns möglichst gut ergänzen. In der Palliative Care stehen wir in keiner Konkurrenzsituation, es gibt für alle mehr als genug zu tun …

Wichtige Partner sind auch die spezialisierten ambulanten Dienste.

Die Home-Teams sind eigentlich die wichtigsten Akteure in der Palliative Care, denn die meisten Menschen wollen nicht im Spital sterben, sondern zu Hause. Glücklicherweise wird deren Arbeit im Kanton Zürich nun auch politisch weiter gestärkt. Denn für die Zukunft braucht es nicht in erster Linie zusätzliche Palliativstationen, sondern eine bessere Versorgung zu Hause.

In den vergangenen Jahren haben Sie die Forschung im Bereich Palliative Care, welche bis zu Ihrem Antritt an der Universität Zürich kaum existent war, vorangetrieben. Warum ist Forschung so dringlich?

Forschung ist das, was für die Qualität bürgen soll. Man weiss auch heute noch sehr wenig über das Lebensende und über die Bedürfnisse von Schwerkranken. Wichtig ist, dass man die Informationen für die Forschungsprojekte direkt beim Patienten, der Patientin abholt und nicht irgendwelche Annahmen macht. Die Gründerin der Palliative-Care-Forschung, Cicely Saunders, führte unzählige Interviews mit den Betroffenen, um zu Erkenntnissen zu kommen. Dennoch ist in dieser Disziplin vieles unerforscht, wir wissen noch recht wenig.

Sie befassen sich auch mit innovativen Themen wie Digitalisierung oder virtuelle Realität.

Alles, was im Leben eine Rolle spielt, kann auch am Lebensende eine Rolle spielen, so auch aktuelle gesellschaftliche Fragen. Beispielsweise in welcher Form digitale Information der Palliative Care eine Hilfe sein kann – und in welcher eher eine Belastung. Ein anderes Thema, das mich derzeit beschäftigt, sind Medikamentenstudien. Es ist herausfordernd, pharmazeutische Studien bei Palliative-Care-Patienten durchzuführen. Zu wissen, welche Medikamente Menschen in der letzten Lebensphase helfen, etwa bei Schmerzen, Appetitlosigkeit oder Angst, ist aber eminent wichtig.

Die Etablierung der Palliative Care an den Universitäten liegt Ihnen am Herzen. Sie ist in Lehre und Ausbildung von Studierenden wegweisend, wenn wir die demografische Entwicklung unserer Gesellschaft betrachten.

Ich habe eine Assistenz-Professur an der Universität Zürich, welche im Moment quasi auf Probe läuft. In ca. zwei Jahren wird man entscheiden, ob diese Professur für Palliative Care fix verankert wird. Im Studium kam 2019 Palliativmedizin nur als Wahlmöglichkeit vor. Mittlerweile sind wir im Lehrplan integriert. Diese Entwicklung ist sehr erfreulich.

Sie sind engagierter und erfolgreicher Klinikleiter, Ausbilder und Wissenschaftler der Palliative Care und auch international tätig. Wo steht die Schweizer Palliative Care im Vergleich mit dem Ausland?

Die Schweiz befindet sich gerade in einem Hoch. Am Europäischen Kongress hat sie im vergangenen Monat gleich drei Awards gewonnen: Professorin Sophie Pautex, Leiterin der Palliativmedizin an den Hôpitaux Universitaires de Genève, PD Dr. Caroline Hertler aus meinem Team des Universitätsspitals Zürich sowie Susanne de Wolf-Linder, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der ZHAW wurden geehrt. Die grosse Herausforderung in der Schweiz ist ihre föderalistische Struktur mit vier Sprachregionen. Will man eine Studie machen, dann muss man diese in vier verschiedenen Sprachen durchführen. Und dann ist natürlich das Gesundheitssystem in unserem Land ebenfalls föderalistisch und kleinteilig. Länder wie Dänemark, Norwegen oder England verfügen über ein nationales Gesundheitssystem. Das macht es viel leichter, Daten zu sammeln. Aus diesem Grund müssen wir in der Schweiz mehr zusammenarbeiten, um mithalten zu können.

 

(palliative zh+sh / Bettina Weissenbrunner)